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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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auf den Knien und betete um ein Wunder.
    -225-

    Vielleicht tut Gott ihm ja den Gefallen, dachte Wiebe. Er hatte schon häufig erlebt, dass der Herr die erstaunlichsten Dinge vollbrachte.
    Pfarrer Bastians verstummte, sobald Wiebes Schatten über ihn fiel. Für einen Augenblick schien er ihn für einen Engel zu halten und lächelte beglückt. Dann jedoch erkannte er Wiebe, und sein Blick wurde kalt.
    »Es gibt für alles eine Lösung«, bemerkte Wiebe, indem er mitleidig die aufgeplatzten Lippen des Pfarrers betrachtete.
    »Der Herr wird sie mir weisen«, beschied Pfarrer Bastians ihn frostig.
    »Der Herr hilft denen, die sich selbst zu helfen wissen«, erwiderte Wiebe. »Wo lasst Ihr Euer Wasser?«
    Pfarrer Bastians kam schwerfällig auf die Beine. »Was fällt Euch ein...«, begann er, doch Wiebe fiel ihm ins Wort: »Ihr müsst Euer Wasser trinken, wenn Ihr überleben wollt.«
    »Schert Euch fort mit Eurem widernatürlichen Geschwätz!«, krächzte Pfarrer Bastians erbost.
    »Wenn man die Augen dabei schließt, ist es zu schaffen«, fuhr Wiebe unbeirrt fort. »Und es schmeckt nicht schlechter als das Bier, das man uns auf dem Schiff anbot.«
    »Wie die Tiere«, flüsterte Pfarrer Bastians angewidert.
    »Unser Leben gleicht ja nun auch dem der Tiere! Warum sollten wir uns ihnen dann nicht auch anpassen?«
    »Eher sterbe ich, als dass ich mich vor Gott unwürdig erweise«, erklärte Pfarrer Bastians und ließ sich erneut zu Boden sinken.
    »Wie Ihr wollt«, antwortete Wiebe. Er legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Himmel empor. Über ihnen hing eine undurchdringliche graue Wolkendecke. Der Wind wirbelte trockenen Kalkstaub auf. Auf Regen würden sie noch eine Weile warten müssen.
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    »Als ob ich mein eigenes Wasser trinken würde«, murmelte der Pfarrer vor sich hin.
    »Nun, meines bekommt Ihr mit Sicherheit nicht.« Wiebe lachte. Danach wurde er wieder ernst. »Ihr trinkt doch auch das Blut des Gekreuzigten«, ermunterte er Pfarrer Bastians abermals. »Was ist denn dann gegen Euren eigenen Körpersaft einzuwenden?«
    »Geht mir aus den Augen! Solche Gedanken sind des Teufels.«
    »Dann werdet Ihr sterben, Herr Prediger. Gehabt Euch wohl.«
    Wiebe wandte sich ab.
    »Ich vertraue auf die Kraft meines Gebetes!«, rief der Pfarrer ihm nach.
    Ja, tu das nur, dachte Wiebe. Vielleicht spendet dir das ein wenig Trost. Mindestens zwei Monate würde es dauern, bis der Kommandeur und Jacobs Batavia erreichten. Einen weiteren würden sie benötigen, um zu ihnen zurückzukehren -
    vorausgesetzt, sie schafften die Reise überhaupt. Sie hingegen würden höchstens drei Tage brauchen, bis sie verdurstet waren.
    Während der Nacht hörte Wiebe, wie der Pfarrer stöhnte und seine Gebete immer wieder von vo rn begann, bis er schließlich heiser wurde und zuletzt verstummte.

    Auf dem Wrack
    Jeronimus befand sich noch immer in der Kajüte des Kommandeurs. Alle anderen waren inzwischen verschwunden.
    Er hatte sich in dem roten Sessel zurückgelehnt und ließ seine Blicke umherwandern. Die aufgerissenen Schubladen des Schreibtisches, deren Inhalt sich auf dem Boden befand, die schiefe Lage des Raums, die zur Wand gerutschten Möbel -
    nichts davon nahm er wahr. Stattdessen malte er sich aus, er
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    würde die Flotte befehligen und sei auf dem Weg zu einem Posten als Gouverneur.
    »Du da hinten!«, rief Jeronimus einem Dienstboten zu.
    »Besorg mir auf der Stelle einen Becher Wein!« Er sah die geduckte Gestalt forthuschen und trommelte ungeduldig auf die Armstützen.
    »Frau van der Mylen«, begann er danach. »Ihr würdet staunen, wenn Ihr wüsstet, was ich in Indien erlebt habe.«
    Jeronimus bückte sich und hob einen Bogen Papier vom Fußboden auf. Es handelte sich um eine Proviantliste, notiert in der feinen, säuberlichen Schrift des Kommandeurs. »De Vries, hopp, hopp! Acht Kopien bitte und zwar ein bisschen plötzlich!«, herrschte Jeronimus den imaginären Schreiber an.
    Von draußen schlug ein wuchtiger Brecher gegen die Bordwand. Jeronimus schrie auf. Dann glitt er langsam zu Boden.
    »Solch ein unrühmliches Ende kannst du nicht für mich vorgesehen haben, Herr!«, rief er gen Himmel, ehe er abermals in eine dunkle Ecke kroch und sich dort zusammenkrümmte.
    Später schleppte Jeronimus sich auf das Lager des Kommandeurs, rollte sich wie ein Fötus ein und verbarg sich unter den schweren Decken. Die meiste Zeit über zitterte und weinte er, doch hie und da rappelte er sich hoch und spie Verwünschungen gegen

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