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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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nahm.
    Das Beiboot, das sie im Schlepp mit sich führten, war bis an den Rand voll Wasser gelaufen. Es zog das Langboot wie ein Anker nach unten.
    »Kappt das Tau!«, schrie der Skipper durch den tosenden Wind.
    Halfwaack machte Anstalten zu gehorchen, hielt jedoch im letzten Moment inne.
    »Du sollst das verdammte Tau durchtrennen!«, brüllte Jacobs noch einmal.
    Halfwaack hieb seine Axt in den dicken Verbindungsstrang.
    Das kleine Boot drehte sich ein-, zweimal im Kreis, und danach war es verschwunden, vom Meer verschluckt.
    Der Wasserpegel im Langboot kletterte trotzdem weiter in die Höhe.
    »Die Wasserfässer über Bord!«, schrie Jacobs.
    Francois richtete sich abermals auf. »Was soll das?«, rief er erschrocken.
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    »Wir sind zu viele. Das Boot ist zu schwer!«, brüllte der Kapitän. »Der Ballast geht über Bord. Entweder der oder wir.«
    Francois klammerte sich an der Bordwand fest und sah zu, wie ihre Vorräte kurz darauf auf den aufgewühlten Wellen forttrieben.
    Dann setzte der Regen ein.
    In den niederprasselnden Fluten legten sie die Köpfe in den Nacken, öffneten die Münder, streckten die Zungen dem Nass entgegen und leckten gierig nach mehr.
    Großer, allmächtiger Gott, betete Francois, lass es auch auf der Insel regnen! Gib den Menschen dort genug Wasser, damit sie überleben.
    Als er seinen ersten Durst gestillt hatte, ließ Francois sich auf den Boden sinken und betrachtete den Kapitän. Wie eine Statue saß dieser nun am Heck, die Augen auf den Wellengang gerichtet, die Hand an der Ruderpinne, die Nase im eisigen Wind. Er hat sich nicht für einen Augenblick gefürchtet, erkannte Francois. Jacobs mochte ein Maulheld sein, ein grobschlächtiger Flegel, doch alles, was recht war, ein Angsthase war er nicht. Auch in einer
    nahezu aussichtslosen Lage wie dieser behielt er seinen Mut, stemmte sich gegen den Sturm und die See und kämpfte wie ein Löwe. Selbst nachdem er das beste Schiff der Gesellschaft - ach was, das beste Schiff der Welt! - in den Untergang gesteuert hatte, blieb sein Selbstvertrauen unangefochten. Die Schuld an unserem Unglück wird er zwangsläufig anderen in die Schuhe schieben, überlegte Francois, denn den Gedanken, versagt zu haben, erträgt so jemand nicht, dafür ist er zu unbeugsam, zu stolz.
    Francois nahm sich vor, diesen Umstand niemals zu vergessen, vor allem nicht in Java vor dem Gouverneur. Er zog seinen Umhang enger um sich. Dann rollte er sich auf dem Boden zusammen. Er spürte das Fieber in sich wüten. Soll
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    Jacobs doch kämpfen, wenn er sich so gut darauf versteht, dachte er. Er, Francois, konnte nichts mehr tun, er wollte nur noch schlafen, im Nichts versinken, vergessen.

    Auf dem Friedhof

    Anfänglich glaubte Judith, sie würde von der Gischt besprüht, doch dann platschte ein dicker, schwerer Tropfen auf ihre Wange. Sie öffnete die Augen. Über ihr hing noch immer derselbe bleierne Himmel wie zuvor. Gleich darauf spürte sie die nächsten Tropfen. Sie vernahm das leise Stöhnen, das sich ihrer Kehle entrang, und legte den Kopf in den Nacken. Wie von selbst schob sich die Zunge aus ihrem Mund hervor und verharrte ungeduldig zitternd in der Luft.
    Ein eiskalter Wind erhob sich, und dann endlich brach der Regen los.
    Judith schrie auf. Ein Wunder war geschehen, ganz wie ihr Vater es vorausgesehen hatte. Mit seinem Strafgericht hatte der Herr sie lediglich prüfen wollen, doch nun hatte er ihre Treue erkannt und wollte sie belohnen. Er ließ seine Herde nicht im Stich.
    Immer neue graue Regenvorhänge bildeten sich über dem Meer und zogen auf die Insel zu, wo sie sich in Sturzbächen ergossen. Die Vertiefungen in den Felsen füllten sich mit Wasser. Auf dem Friedhof sah es aus, als erhöben sich Tote aus ihren Gräbern. Menschen, die gerade noch reglose Hügel gewesen waren, richteten sich auf, kamen taumelnd auf die Beine und irrten mit ausgestreckten Armen umher. Dann boten sie ihr Gesicht dem Himmel dar und begannen zu schmatzen und zu lecken, bis sie schließlich die Hände zu Kuhlen formten und das Wasser daraus schlürften.
    Die Soldaten waren die Ersten, die umsichtig reagierten.
    Nachdem sie ihren ersten Durst gestillt hatten, hielten sie die
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    Segeltücher wie Trichter auf und leiteten die Wasserbäche in die Fässer.
    Judith krabbelte auf allen vieren über die Felsen und schleckte an den frisch entstandenen Pfützen. Sie erkannte ihre Mutter, die das Gleiche tat, und ihren Vater, der abwechselnd betete und trank.
    Judith

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