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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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die Augen und einen Teil des Hirns des Toten weggenagt und huschten fort, als Jeronimus sich näherte.
    Beim Anblick der leeren Augenhöhlen und des offenen Schädels krampfte sich Jeronimus' Magen zusammen. Der Unterkaufmann presste sich die Hände auf den Leib und gab Würgelaute von sich. Grünliche Galle sickerte ihm aus dem Mund und rann über sein Kinn.
    Der Geldtruhen waren noch immer festgezurrt, stellte er kurz darauf fest. Niemand hatte sich an ihnen vergriffen. Das ist unser Lösegeld, ging es ihm durch den Kopf. Damit bezahlen wir später die Fische.
    In den Mulden der Segelleinwand, die aufgebauscht in einer Ecke lag, hatte sich Wasser gesammelt. Jeronimus tauchte einen Finger hinein und lutschte ihn ab. Rege nwasser. Er ließ sich auf die Knie nieder und trank wie ein Hund aus seinem Napf.
    Nicht weit entfernt ragte ein Fels aus dem Wasser, der sich zwischen dem Wrack und der großen Insel befand. Jeronimus
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    beobachtete, wie ein Fass darauf zutrieb. Ich sollte die Gelegenheit nutzen, sagte er sich, am besten jetzt gleich, ohne nachzudenken. Er gab sich einen Ruck. Doch es half nichts. Er schaffte es nicht, die Brüstung loszulassen. Seine Gliedmaßen verweigerten ihm den Dienst.
    Wenn ich nicht springe, sterbe ich, überlegte Jeronimus, während er auf seine Finger starrte, die sich widerborstig um den Handlauf schlossen. Lasst los! befahl er ihnen. Ich bin Gottes Auserwählter. Es darf nicht sein, dass ich einsam und verlassen bei einem Toten und lauernden Aasfressern ve rende.

    Auf dem Friedhof

    Judiths Gefühl der Dankbarkeit war gekommen und gegangen. Bereits wenige Tage nach den Regengüssen plagte sie wieder die Niedergeschlagenheit, die mit langen, schwarzen Krakenarmen nach ihrer Seele griff und ihr Gemüt mit ihrem Gift durchsetzte.
    Das hat Gott also für uns vorgesehen, dachte Judith, den Friedhof der Batavia. Ein ödes Koralleneiland, mit dürrem, zerzaustem Gestrüpp, Heimat von Vögeln und kleinem Seegetier.
    Wenn die Flut kam, versank der Strand. Dann wurde die Insel von steilen Klippen gesäumt, die sich mit scharfen Zacken und Kanten aus dem Meerboden erhoben.
    Ringsum befanden sich weitere Inseln. Ein langgestreckter Felsen war durch einen breiten Kanal von ihnen getrennt, durch den eilig die Strömung trieb und Strudel bildete. Im Norden sah man die Insel liegen, von der der Skipper und der Kommandeur verschwunden waren. Sie wurde Verräterinsel genannt.
    Je nach Einfall des Lichts nahmen die umliegenden Inseln das Aussehen einer düsteren Pilzkolonie an und wirkten unheimlich.
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    Anneken Hardens war der Überzeugung, es handele sich um eine Geisterwelt, in der böse Mächte ihr Unwesen trieben.
    Seit dem großen Regen besaßen sie genügend Wasser.
    Infolgedessen hatten die Menschen Mut gefasst, hatten sich an die Arbeit gemacht, versuchten zu überleben. Aus Felsbrocken, Buschwerk und angespültem Holz wurden weitere Hütten und Zelte errichtet, an denen Segeltuchreste als Vordächer dienten.
    Am Strand bauten Zimmerleute aus angeschwemmten Planken Flöße zusammen, mit denen sie durch die seichteren Gewässer ruderten, um die umherschwimmenden Fässer und Kisten aufzufischen.
    Die Fässer wurden erneut von einer Wache gehütet. Von ihr bekam jeder täglich drei Becher Wasser zugeteilt. Mit diesen Rationen würden sie für eine Weile durchhalten.
    Die Sturmtaucher auf der Friedhofsinsel schliefen zwischen den Felsen auf sandigen Flecken. Dort erlegten die Männer sie nachts, wenn sie, vom Fackellicht geblendet, starr und steif auf ihren Nestern hockten. Wenn man sie rupfte und über verkohlten Holzstücken briet, erhielt man einen Bissen zähen, nach Fisch schmeckenden Fleisches. Außer diesen Vögeln nistete in den Sträuchern eine Seeschwalbenart, deren Fleisch zwar ungenießbar war, deren winzige Eier sich jedoch kochen oder schlürfen ließen.
    Ob die Anzahl der Vögel stets für alle ausreichen würde, vermochte Judith nicht abzuschätzen, doch so weit dachte zurzeit niemand. Für den Moment waren sie versorgt. Das war ihnen genug.
    Judiths Vater versammelte die Menschen allmorgendlich zur Andacht, um sie in ihrem Glauben an Gott zu bestärken. »Der Herr ist mein Hirte«, hörte Judith ihn bisweilen auch für sich murmeln, »mir wird es nicht mangeln.«
    Bei derartigen Gelegenheiten lächelte Judith abfällig. Ja, ja, dachte sie dann, und du bewahrst ihn davor, säumig zu werden.
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    Ihr Vater hatte gut für sich gesorgt. Er und seine Familie lebten in der

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