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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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größten und besten Unterkunft, wohingegen die Kranken und Verletzten notdürftig unter Sträuchern untergebracht waren.
    Zuweilen fragte Judith sich, warum sie ihren Vater nicht an seine Christenpflicht gemahnte und sich erkundigte, was aus seinen strengen Grundsätzen geworden war, deren er sich sonst so gern und ausgiebig bediente. Ihr fehlte jedoch der Mut.
    Allerdings stellte sie grübelnd fest, dass ihr Vertrauen in ihren Vater schwand. Dieser Prozess hatte bereits auf der Batavia begonnen, als sie seine Unterwürfigkeit gegenüber van Huyssen erkannte. Später, beim Verlassen der Batavia, hatte seine Brutalität sie abgestoßen. Allein vor der Konsequenz, ihn nämlich als selbstsüchtigen und heuchlerischen Menschen zu brandmarken, scheute Judith noch zurück.
    Judith ließ die Blicke über den glatten, blauen Ozean wandern, dessen Wellen den Strand mit zarten Spitzenbändern benetzten.
    Der Geruch eines Feuers stieg ihr in die Nase, vermischt mit dem Duft von gebratenem Fisch. Judiths Magen gab knurrende Laute von sich. So wird es bleiben, dachte sie resigniert. Ich werde wie Vieh existieren, entweder Hunger oder Durst leiden, mich abwechselnd vor der eisigen Kälte oder der glühenden Sonne verkriechen und mich fortwährend erbärmlich und elend fühlen. Darüber hinaus wird nichts mehr geschehen. Das wird mein Leben sein.
    Judiths Blick glitt zur Batavia hinüber. Dort gab es kein Lebenszeichen mehr. Während des vergangenen Sturms hatte das Wrack sich weiter zur Seite geneigt und war inzwischen fast gänzlich unter der Wasseroberfläche verschwunden.
    »Judith«, sagte eine Stimme hinter ihr.
    Judith fuhr herum.
    Conrad. Er hatte überlebt!
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    Conrads Äußeres hatte ein wenig gelitten, fand sie. Seine blasse Haut wies wässrige Hitzebläschen auf, seine Lippen waren rau, und auf seinem feinen Umhang malten sich hässliche weiße Salzränder ab. Sein Haar war indes noch blonder geworden, und auf den hellen Strähnen tanzten kleine goldene Lichter in der Sonne.
    »Ich bin sehr froh, Euch wohlbehalten anzutreffen«, begrüßte Conrad sie.
    Sein Lächeln strömte Judith wie Lava durch die Glieder. Es war aufreizend und innig zugleich.
    Judith schoss die Röte in die Wangen. »Ich freue mich auch, dass Ihr noch lebt«, murmelte sie.
    Conrads Lächeln vertiefte sich. Er trat einen Schritt auf sie zu.
    Judith blickte ihn wachsam an. Für einen Moment fragte sie sich, ob er sie in die Arme nehmen - und ob sie dann nachgeben und sich an ihn schmiegen würde.
    Doch Conrad tat nichts dergleichen. »Welch ein trostloser Ort für ein Wiedersehen«, bemerkte er mit jäher Verdrossenheit.
    Sein Lächeln war erloschen.
    »Ich dachte, wir würden alle sterben«, gestand Judith leise.
    »Etliche Menschen sind tatsächlich verdurstet. Die anderen rettete ein Wunder des Herrn.«
    »Wenn der Herr sein Wunder früher vollbracht hätte, wären womöglich noch mehr gerettet worden«, entgegnete Conrad heftig.
    Judith hob die Hand, als wolle sie seine Worte abwehren.
    »Entschuldigt, Judith«, lenkte er ein. »Gewiss sind nur die Sünder umgekommen.«
    Judith betrachtete ihn nachdenklich. Wie leicht ihm die Gotteslästerung über die Lippen geht! wunderte sie sich.
    »Mein Vater glaubt, dass seine Gebete notwendig waren, um Gottes Aufmerksamkeit auf uns zu richten.«
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    »So wird es gewesen sein.«
    Ob er sic h über uns lustig macht? überlegte Judith. Bei Conrads unbewegter Miene fiel es schwer, seine Gedanken zu lesen.
    »Euer Vater kann seine Gebete allerdings langsam einstellen«, fuhr Conrad ein wenig gereizt fort. »Ich glaube nicht, dass Gott sich längerfristig für dieses karge Eiland interessiert.«
    »O doch«, beharrte Judith. »Mein Vater ist der Ansicht, dass wir bald gerettet werden.«
    Conrad zuckte die Achseln. »Irgendwann werden sie wohl auftauchen, um nach uns zu suchen. Immerhin befinden sich die Kisten mit dem Silber noch im Wrack. Der ein oder andere von uns wird diesen Tag womöglich sogar erleben.«
    »Warum nicht alle?«, fragte Judith. »Verlasst Ihr Euch denn gar nicht auf den Herrn?«
    »Ich finde, dass wir uns bereits lange genug auf ihn verlassen haben. Sehr viel hat uns das nicht eingebracht - oder? Deshalb sollten wir uns zukünftig vielleicht lieber auf uns selbst verlassen.«
    »Ihr möchtet mich aus der Fassung bringen, nicht wahr?«
    Conrad stutzte. Dann lächelte er spitzbübisch. Seine Blicke glitten von Jud iths Gesicht über ihren Hals zu ihrem Mieder. Als er sah, dass Judith

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