Zorn des Loewen
stumm.
Mallory seufzte schwer. Die Zigarette, die er über die Mauer schnippte, zeichnete einen glühenden Bogen. »Unter den Umständen werden Sie mich vielleicht entschuldigen, General? Dieser Abend ist zu einem jener Abende geworden, an denen ich ein paar Drinks vertragen könnte.«
Er drehte sich um und stieg die Stufen hinauf. Der Klang seiner Schritte verlor sich rasch in der Dunkelheit. Nach einem Augenblick der Besinnung sagte Hamish Grant: »Es geschieht nicht oft, daß man einem Mann begegnet, der bereit ist, die Schuld für uns andere zu tragen. Es bedarf schon eines besonderen Mutes.«
Anne wandte sich ihm zu; ihr Gesicht war immer noch blaß und undurchschaubar, und dann, als hätte sie sich zu einer Entscheidung durchgerungen, stand sie auf: »Entschuldigst du mich, bitte?«
Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Laß mir den Wagen, bitte. Ich werde später nachkommen.«
›Und das war's‹, sagte Mallory zu sich selbst. ›Das war's dann wohl.‹
Es gab keine Unklarheit darüber, was sie von ihm gedacht hatte. Ihr Schweigen, ihre Ruhe waren Antwort genug. Das Eigenartige war, daß es ihm etwas ausmachte, daß zum ersten Mal seit Jahren die schützende Hülle, die er sich zugelegt hatte, einen Riß bekommen hatte, und er jetzt schutzlos dastand. Mit hängendem Kopf und den Händen in den Taschen vergraben schritt er auf dem grasbedeckten Rand der Straße entlang, die, im hellen Mondlicht liegend, zum Hafen hinunterführte. Ein Windhauch glitt über sein Gesicht, und er sog die Luft tief ein. Es war ganz still, kein Ton zu hören, und doch wußte er, daß sie neben ihm ging. Er sprach ruhig, jedoch mit einem ganz leichten irischen Tonfall, den ihm sein Vater vererbt hatte und der immer in Augenblicken großer innerer Erregung nach außen drang.
»Was, um alles in der Welt, können Sie wollen, Anne Grant?«
»Einen Drink, Neil Mallory«, erklärte sie, und versuchte, sich! Stimmung anzupassen, »und vielleicht noch einen. Ist das zuviel verlangt?«
Er hielt inne und schaute sie an, seine Hände immer noch in den Taschen vergraben. Sie sah wunderschön aus. Er hatte nie geglaubt, daß Frauen so schön sein können. Er sah die Tränen in ihren Augen. Sein Arm schloß sich um ihre Schultern, und gemeinsam gingen sie den Hügel hinunter auf die Lichter des Hotels zu.
Im langen Gras auf dem über den Klippen liegenden Hügel lag Raoul Guyon auf dem Rücken und starrte in die Unendlichkeit des Kosmos. Seine Hände hatte er unter seinem Kopf verschränkt. Neben ihm saß Fiona Grant und kämmte ihr Haar.
Sie wandte sich zu ihm und lächelte ihn aus ihrem offenen Gesicht an. »Na, wirst du aus mir eine anständige Frau machen?«
»Wie immer hast du die Gabe, die schwierigste Frage zuerst zu stellen«, stellte er fest.
»Ein einfaches Ja oder Nein würde reichen. Ich bin einigermaßen zivilisiert.«
»Ein Wort, das keine Frau in den Mund nehmen sollte«, bemerkte er feierlich. »Das Leben ist selten so einfach, daß ein Ja oder Nein ausreichte, Fiona.«
»Da bin ich anderer Meinung«, widersprach sie. »Es sind die Menschen, die alles kompliziert machen.
Mein Vater mag dich, wenn das irgendwie von Belang sein sollte, und ich sehe keinen Grund, warum von deiner Seite aus irgendwelche Einwände kommen sollten. Außerdem könnte man mich gut für eine Französin halten.«
»Ich bin davon überzeugt, daß meine Mutter dich sehr mögen würde. Andererseits sind wir Bretonen in bestimmten Dingen sehr altmodisch. Sie würde mir nie erlauben, eine Frau zu heiraten, die keine beträchtliche Mitgift mitbrächte.«
»Wären elftausend Pfund angenehm?« fragte sie leichthin. »Mein Lieblingsonkel starb im März.«
»Ich bin sicher, Maman wäre sehr beeindruckt«, gab Guyon zu.
Sie beugte sich zu ihm hinunter und legte ihren Kopf auf seine Brust. »Und überhaupt, was sollen wir uns um Geld sorgen? Ich weiß, die meisten Künstler müssen ums Überleben kämpfen; aber wie viele malen schon so wie du?«
»Das ist ein Argument.«
Sie hatte wohl recht. Er hatte schon so viele Bilder verkauft, wenn er zwischen den anderen Aufträgen – auf dem Bauernhof in der Nähe von Loudeac arbeitete, dem Familienhof, den seine Mutter so tüchtig bewirtschaftete. Morgens am Ufer der Oust, wenn die Blätter von den Buchen zum Wasser herniederschwebten und die feuchte Erde duftete. Das Land, in dem er aufgewachsen war und das er liebte! Mit
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