Zorn des Loewen
Korridor. Die dunklen Ringe unter den Augen verstärkten die Blässe ihres Gesichtes. Sie hatte offensichtlich geweint.
»Was geht da drinnen vor? Ich verlange darüber Auskunft«, rief sie.
»Ich verhöre Mr. Li«, erklärte Mallory. »Wir haben soeben herausgefunden, daß er uns bisher an der Nase herumgeführt hat.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Na, das ist zu schade. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich mich glücklich schätzen, Ihnen das Funkgerät, das er in seinem Zimmer versteckt hatte, zu zeigen. Momentan aber bin ich sehr beschäftigt«, spöttelte er. »Begleite Mrs. Hume auf ihr Zimmer, und sieh zu, daß sie es nicht verläßt«, wies Mallory den Unteroffizier zu seiner Linken an.
Er ging ins Wohnzimmer zurück, schlug die Tür zu, als er sie plötzlich empört aufschreien hörte und trat ans Feuer. Er ließ sich in einem Sessel nieder und zündete sich eine Zigarette an.
»Sind Sie jemals gefoltert worden?« Da Li nicht antwortete, fuhr Mallory fort: »Im Jahre 1943 habe ich verdeckt in Frankreich operiert. Ich war gerade zwanzig. Die Gestapo faßte mich. Die ersten beiden Tage überstand ich ganz gut. Aber am Ende der Woche hatten sie mich so weit, daß ich ihnen alles erzählte, was sie wissen wollten. Natürlich hatte man in London inzwischen alles geändert, so daß es nicht wirklich entscheidend war.«
»Das ist tatsächlich sehr interessant«, meinte Li spöttisch.
»Ich dachte mir schon, daß Sie das sagen würden.« Mallory ergriff einen Feuerhaken und legte ihn ins Feuer. »Es tut mir leid, daß ich nicht eine ganze Woche warten kann, das verstehen Sie, und ich glaube auch nicht, daß ich das nötig habe. Ich habe zudem den außerordentlichen Vorteil, zwei Jahre in einem kommunistischen Gefangenenlager verbracht zu haben. Die haben mir eine Menge beigebracht, diese Freunde von Ihnen.«
Li starrte mit gebanntem Entsetzen auf den Feuerhaken, und seine Kehle wurde trocken. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und krächzte: »Das werden Sie nicht wagen. Die Brandmale wären für alle sichtbar auf meinem Körper. Mrs. Hume ist Zeugin für alles, was geschieht.«
»Man hat mir aufgetragen, Perak zu säubern«, sagte Mallory kühl, »und ich habe nur noch bis Freitagmorgen Zeit. Das heißt, daß ich mich beeilen muß. Ich bin sicher, Sie verstehen mich.«
Er nahm den weißglühenden Schürhaken aus dem Feuer, wandte sich zu Li und sagte sanft: »Sagen Sie mir, wo sich Ihre Leute aufhalten; das ist alles, was ich wissen will.«
»Sie vergeuden Ihre Zeit«, erwiderte Li. »Sie können mich genausogut erschießen, und es so hinter sich bringen.«
»Das glaube ich nicht.« Mallory schaute ihn abschätzend an, ehe er fortfuhr: »Ich würde sagen, daß Sie zwei Stunden durchstehen könnten, aber auch das bezweifle ich stark.«
Ungefähr drei Stunden später erlangte Li in der kühlen Dunkelheit seines Zimmers auf dem Bett das Bewußtsein wieder. Seine Hände waren nachlässig bandagiert, und durch seinen ganzen Körper pulste ein dumpfer Schmerz, der ihn schwindeln ließ.
Er hatte geredet. Das war das Schmachvolle. Er hatte diesem furchtbaren Engländer mit dem weißen Gesicht und den dunklen Augen, die geradewegs in die Seele drangen, alles erzählt.
Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, sich zu erheben. Er taumelte durch den Raum und biß dabei die Zähne fest zusammen, um nicht laut aufschreien zu müssen. Am Fenster blieb er stehen und sah hinaus. Die Veranda war menschenleer, niemand war zu sehen. Li stieß die Tür auf und bewegte sich auf die Treppe zu. Einen Augenblick lang verharrte er, um die Frische des Regens zu spüren. Ihn überkam eine leichte Erregung, die den Schmerz aus seinem Bewußtsein vertrieb. Er würde gewinnen. Er würde Mallory am Ende doch besiegen, und das war das Wichtigste.
Er schwankte die Stufen hinunter auf den Rasen zu. Er hatte ihn schon zur Hälfte überquert, da vernahm er das Klicken eines Gewehrbolzens. Er drehte sich um, den Mund zu einem Schrei weit aufgerissen und wußte in diesem Moment, daß Mallory jetzt gewonnen hatte.
Die Feuerspur, die aus dem Gebüsch hervorbrach, wirbelte ihn zweimal herum und streckte ihn zu Boden. Nur einen Moment lang stieg ihm der Duft von nassem Gras in die Nase, dann nichts mehr.
In seinem Büro im Kommandoposten hörte Mallory die Gewehrsalve sehr deutlich. Er horchte kurz mit erhobenem Kopf auf und versenkte sich dann wieder in die Karte, die
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