Zorn: Thriller (German Edition)
lange her, dass Adrenalin sein gesamtes Wesen so stark beeinträchtigt hatte wie jetzt. Am liebsten wollte er dieses Aas töten.
Er trat noch einmal etwas heftiger auf die durch den Schuss verletzte Schulter, zielte gewissenhaft und schoss erneut.
Diesmal unmittelbar neben Viktor Larssons rechtes Ohr in den Boden.
Geradewegs in das dunkle Herz von Nasino.
4 – Sturm
Pferdespritze
Nowosibirsk – Den Haag, 28. Mai
Arto Söderstedt entfaltete einen Brief. Es war nicht ganz leicht, auch wenn der Gips an seiner rechten Hand inzwischen bedeutend dünner war als noch vor wenigen Stunden. Schließlich las er ihn auf Englisch laut vor: »›Wenn Sie mich festnehmen, ist er Ihre Belohnung, unbekannter Polizist. Genau dieser Brief.‹ Tja, wie gehen wir weiter vor, Viktor?«
Söderstedt saß an einem Vernehmungstisch in einer spartanischen Gefängniszelle. Auf der anderen Seite des Tisches hockte ein Mann in Handschellen, die am Tisch befestigt waren, und mit bloßem Oberkörper, der nahezu vollständig mit einem großflächigen Verband über der rechten Schulter bedeckt war. Viktor Larsson war blass, lächelte aber schwach.
»Eine sonderbare Parallele«, sagte er auf Schwedisch. »Dieser Verband sitzt genau an derselben Stelle wie Dedas vor siebenundsiebzig Jahren.«
»Wie gehen wir weiter vor, Viktor?«, wiederholte Söderstedt auf Englisch. »Sprechen Sie Englisch, denn das ist eine internationale Vernehmung.«
Sara Svenhagen stand im hinteren Teil der Zelle und justierte die Videokamera, die auf einem hohen Stativ neben der Wand angebracht war. Jorge Chavez saß neben Arto Söderstedt. Chavez war ein kampferprobter Polizist und dementsprechend überrascht von dem reinen, nahezu unschuldigen Gefühl, das ihn plötzlich befiel. Diese absolute Bewunderung, die er in diesem Augenblick für Arto Söderstedt verspürte.
Dem Serienmörder Viktor Larsson schien es ähnlich zu gehen. Er sagte auf Englisch: »Verdammt, was für eine smarte Idee mit dem Gips. Meine Hochachtung, Arto Söderstedt.«
Söderstedt warf ihm einen desinteressierten Blick zu und verzog das Gesicht zu einer müden Grimasse. Auf dem Tisch vor ihnen lagen folgende Gegenstände aufgereiht: Larssons Tasche, der Greifarm mit dem Gebiss, der Glasbehälter für das Fleisch sowie die Waage und die Pferdespritze.
Söderstedt streckte seinen Nacken und fragte: »Wollen wir nun endlich den Versuch unternehmen weiterzukommen? Denn dieser Brief hier besagt ja nichts Neues. Alles, was darin steht, haben wir längst selbst herausgefunden, inklusive der Tatsache, dass Sie an krankhaftem Größenwahn leiden, der Sie behaupten lässt, alle meine Schritte vorherbestimmt zu haben und dass ich lediglich Ihrem Plan gefolgt sei. Tatsache ist jedoch das Gegenteil, nämlich dass Sie den meinen gefolgt sind.«
Viktor Larsson beugte sich so weit über den Tisch vor, wie seine am Tisch befestigten Handschellen es zuließen.
»Ich kann Ihnen stundenlang erzählen, wie ich jeden einzelnen Mord geplant habe, wie ich jedes einzelne Opfer und jede Gefängnisinsel ausgewählt habe, aber im Grunde pfeifen Sie doch darauf, oder?«
Söderstedt antwortete nicht und ließ Sara Svenhagen, die gerade zu ihnen an den Tisch gekommen war und sich auf den vierten Stuhl gesetzt hatte, ein Blatt Papier entfalten. Sie hielt es hoch. Es war die Zeichnung eines Mannes mit vollem schwarzen Haar und einem dichten schwarzen Schnauzbart.
»Diese Maskierung«, erklärte Larsson und zuckte mit den Achseln, »habe ich 2004 auf Ko Tarutao, 2008 auf Coiba und neulich auf Capraia benutzt. Bei den anderen Malen habe ich andere Maskierungen verwendet. Diese kleine Peruanerin auf Coiba – Teresa Moy hieß sie doch, oder? – war übrigens die Einzige, die ernsthaft Widerstand geleistet hat. Ziemlich viel Kraft in diesem zierlichen Körper.«
»Wir bleiben auf Capraia«, warf Söderstedt ein. »Erzählen Sie uns von dem Mord an Roman Vacek.«
»Wenn Sie sich fragen, wer das Motorboot geklaut hat, das war ich. Ich bin mitten in der Nacht nach Livorno rübergefahren. War ziemlich schwer zu navigieren.«
»Wir fragen nicht nach dem Boot«, entgegnete Söderstedt. »Wir pfeifen auf das Boot. Ich wiederhole: Erzählen Sie uns von dem Mord an Roman Vacek.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, entgegnete Larsson und lächelte. »Es lief ab wie immer. Ich hatte ihm geheime NATO-Unterlagen über Militärstützpunkte in der Türkei in Aussicht gestellt. Das klang für einen wie ihn attraktiv. Und als
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