Zorn: Thriller (German Edition)
Fall einen Verantwortlichen oder Chef dieser Sektion ausfindig machen. Obendrein benötigen wir jemanden, der untersucht, ob der Waffenhändler Isli Vrapi eine Verbindung zur NATO hatte. Angelos, kannst du das übernehmen? Wenn jemand da eine Linie finden kann, dann du.«
»Danke«, sagte Sifakis ein wenig überrascht. »Klar.«
»Und dann bleibt uns noch unser Täter«, fuhr Hjelm fort. »Wer ist er? Und was hat er vor? Irgendwelche Überlegungen?«
»Wie gesagt, alles weist ziemlich deutlich auf eine Person hin, der irgendetwas widerfahren ist«, erklärte Sifakis. »Jemand, dem durch die Tätigkeit dieser NATO-Sektion irgendein Schaden zugefügt worden ist. Im schlimmsten Fall könnte er ...«
»Sprich ruhig aus, was du denkst.«
»Ich bin etwas unsicher, wie ich es formulieren soll«, entgegnete Sifakis. »Er ist doch in etwa dreißig Jahre alt, nicht wahr?«
»Warte, ich rufe die Phantombilder auf«, sagte Hjelm.
Auf dem elektronischen Whiteboard erschienen die zwillingsgleichen Bilder.
»Ungefähr dreißig, oder?«, vergewisserte Hjelm sich. »Vielleicht auch etwas älter.«
Sifakis betrachtete die Bilder, holte erneut Luft und erklärte dann: »Er könnte ja selbst das Versuchsobjekt gewesen sein.«
»Das Versuchsobjekt?«
»Gegenstand des Experiments. Des Versuchs, die perfekte Leitfigur zu erschaffen.«
In der Bürolandschaft wurde es für eine Weile still. Einige fröstelten.
»Aber ...«, rief plötzlich jemand aus.
Als die anderen Mitglieder der Opcop-Gruppe die Person identifiziert hatten, saß diese mit der Hand vor dem Mund da und war kreidebleich im Gesicht.
»Was ist denn, Jutta?«, fragte Paul Hjelm etwas beunruhigt.
»Aber den kenn ich doch«, rief Jutta Beyer mit heiserer Stimme aus. »Ich habe sogar mit ihm gesprochen.«
»Was sagst du da?«, fragte Hjelm schroff.
»Auf Capraia«, erklärte Beyer. »Donatella Brunos Leute hatten ihn in eine Zelle in La Mortola gesetzt. Er ist ein deutscher Wanderer, der Winfried Baumbach heißt und aus Wolfsburg kommt.«
»Du meinst also«, sagte Hjelm, »dass er auch in La Mortola war, als wir den Tatort besichtigt haben?«
Jutta Beyer nickte und antwortete: »Er war derjenige, der die Leiche von Roman Vacek gefunden hat.«
Rainy City
Seattle, 29. Mai
Felipe Navarro wusste nicht viel von der nordwestlichen Ecke der USA. Natürlich kannte er Grunge und Nirvana, und natürlich hatte er die Unruhen im Zusammenhang mit dem WTO-Gipfel im November 1990 mitbekommen. Aber erst während der Taxifahrt vom Flughafen in die Innenstadt, bei der er nur noch mit Mühe die Augen offen halten konnte, stellte er fest, wie viele internationale Unternehmen ihren Hauptsitz in Seattle hatten. Amazon, Boeing, Microsoft, Starbucks.
Das Zentrum der Stadt erreichte er gegen siebzehn Uhr. Da war es sowohl in Den Haag als auch in Madrid bereits ein Uhr nachts. Also war schon ein neuer Tag angebrochen.
Felipe Navarro hatte jegliches Zeitgefühl verloren und keine Ahnung, wann er zuletzt geschlafen hatte. Richtig geschlafen.
Das Taxi näherte sich dem Zentrum von Süden, vom Seattle-Tacoma International Airport, glitt durch den gesamten Stadtkern, vorbei an der historischen Landmarke Space Needle, und kam auf der anderen Seite in einem Ort wieder heraus, der an ein kleines verschlafenes Städtchen am Mittelmeer erinnerte. In Edmonds fühlte er sich sofort zu Hause, bis das Taxi vor dem mit Abstand hässlichsten Hochhauskomplex anhielt, den er während der gesamten Taxifahrt gesehen hatte.
Als er ausstieg, begann es zu regnen. Auf den zwanzig Metern, die er zum Haus zurücklegen musste, wurde ihm Seattles Spitzname, »Rainy City«, zur Genüge verdeutlicht. Der Himmel öffnete sich regelrecht über ihm.
Als er an der Tür mit dem Namensschild »Smith« klingelte, merkte er, wie nass er geworden war. Der Regen drang bereits durch seine viel zu sommerliche Kleidung.
Die Frau, die ihm öffnete, war älter, als er erwartet hatte. Allerdings waren die meisten Personen, die in diesen Fall involviert waren, relativ betagt – sie hatten in den Achtzigerjahren am Höhepunkt ihres Berufslebens gestanden. Dies schien auf diese Frau allerdings nicht zuzutreffen. Denn sie hatte offenbar überhaupt keine Hochphase gehabt. Die Niederlagen ihres Lebens spiegelten sich in ihrem dunklen misstrauischen Blick wider.
»Mrs Jennifer Smith?«, vergewisserte Navarro sich und hielt ihr seinen Polizeiausweis hin.
Die Frau betrachtete ihn und fragte: »Europäische Polizei? Das ist aber
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