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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Hamilton III. hat er sich in Luft aufgelöst«, ergänzte Miriam Hershey. »Hamilton wurde am 18. Januar 2006 ermordet. Das letzte Lebenszeichen von Dedrick van der Sanden ist das Kündigungsschreiben der UCLA vom Juni desselben Jahres. Seitdem existiert Dedrick van der Sanden nicht mehr.«
    »Hm«, meinte Paul Hjelm. »Ermordet?«
    »Klingt wahrscheinlich«, mutmaßte Balodis. »Aber er kann natürlich auch das Feld geräumt haben. Da er alleinstehend war, konnte er wegziehen und woanders mit einer neuen Identität von vorn anfangen.«
    »Allerdings«, wandte Hershey ein, »sind sämtliche bisher bekannten Mitglieder dieser eventuellen NATO-Sektion ermordet worden. Roman Vacek, Andrew Hamilton III., Lars-Erik Dahlberg, vermutlich Udo Massicotte – wenn wir ihn hinzurechnen – und wahrscheinlich eben auch Dedrick van der Sanden. Es ist nur so, dass seine Leiche nicht gefunden wurde.«
    »Gut«, sagte Hjelm. »Holt die Fotos auf das Whiteboard. Ich nehme an, ihr wisst, was euch erwartet?«
    »Dedrick van der Sanden ausfindig zu machen?«, fragte Balodis.
    »Genau«, antwortete Hjelm. »Aber zuvor noch eine Frage.«
    »Ja?«, sagte Hershey.
    »Wie findet ihr unseren Winfried?«
    »Wie bitte?«
    »Den Mörder. Auch wenn er natürlich nicht Winfried Baumbach heißt, habe ich gerade beschlossen, ihn Winfried zu nennen. Codename Winfried. Schon ein witziger Name für einen bestialischen Mörder.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Hershey skeptisch.
    »Ist er heiß?«, fragte Hjelm.
    »Was zum Teufel?«, riefen Hershey und Balodis im Chor.
    Als die beiden fraglos sehr eleganten Frauen wieder aus seinem Büro verschwunden waren, überlegte Hjelm, ob er möglicherweise genau die Antwort erhalten hatte, auf die alles hinauslief.
    Aber war so etwas tatsächlich möglich? Ende der Siebzigerjahre? Wurde Winfried erschaffen, um die weibliche Lust zu aktivieren? Oder auch die homosexuelle? War man zu dieser Zeit bereits in der Lage, so etwas durchzuführen? Waren wir damals möglicherweise in viel geringerem Maße Individuen, als wir glaubten, und vielmehr Herdentiere? Ließen sich Bedürfnisse im Grunde bei jedem auf dieselbe Weise wecken?
    Wenn dies der Fall war, hatte man tatsächlich versucht, einen Eins-a-Menschen zu generieren. Und wenn das der Wahrheit entsprach, war es verheerend. Die perfekte Leitfigur ohne Mitgefühl und dennoch für Frauen attraktiv.
    Die perfekte Leitfigur war also ein schöner junger Mann ohne Empathiefähigkeit. In gewisser Weise kam Hjelm das ziemlich bekannt vor. Wurden nicht bereits große Bereiche weltweit von genau diesem Typ Mensch gesteuert? Den man etwas drastischer auch als Psychopathen bezeichnen konnte. Brauchte die Welt wirklich noch mehr Psychopathen?
    Paul Hjelm war inzwischen selbst Chef. Und trotz seines relativ begrenzten Kreises an Untergebenen war er längst zu der einen oder anderen Einsicht gelangt. Man benötigte beispielsweise eine gewisse Handlungskraft, um etwas zu bewegen, und um Handlungskraft zu mobilisieren, war es mitunter erforderlich, die Nebeneffekte der eigenen Entscheidungen zu ignorieren. Bereits da lauerte die psychopathische Verlockung: auf die Konsequenzen zu pfeifen, um Dinge durchsetzen zu können. Hin und wieder hatte er diese Verlockung bereits verspürt. Doch er hatte auch festgestellt, dass man die besten Entscheidungen traf, wenn man die menschlichen Konsequenzen so weit wie möglich überblickte.
    Aber vielleicht half ihm dabei, dass seine Arbeit nicht auf Macht oder Geld abzielte. Natürlich wurden die Ermittlungen in besorgniserregend hohem Maße von finanziellen Fragen beeinflusst, und natürlich war die Machtfrage präsenter, als er es sich je hätte träumen lassen, aber das Ziel seiner Arbeit bestand darin, Verbrecher zu überführen. Er fragte sich, ob er anders denken würde – oder inwiefern es in seinem Gehirn anders aussehen würde –, wenn er in einem Militärbündnis oder in einem großen Unternehmen arbeiten würde. Müsste er dann psychopathischer veranlagt sein? Nein, entschied er in wahrer Chefmanier. Langfristig gesehen war Gier immer kontraproduktiv. Aber gerade diese Weitsicht war heutzutage vielleicht nicht mehr erwünscht.
    Andererseits zog man beispielsweise in Militärschulen und Internaten schon seit Langem Psychopathen heran. Die jungen Leute der Oberschicht lernten dort mittels raffinierter Verhaltenskodizes, wie überflüssig jegliche Form von Empathie war. Sie wurden einer grundlegenden Schulung in hierarchischem Denken

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