Zorn: Thriller (German Edition)
ist das für ein Unternehmen, das Massicotte betreibt? Sind wir da schon weitergekommen, Felipe? Was für eine verdammte Firma ist das?«
Navarro schaute von seinem Computer auf. Sein Blick hatte vorher förmlich am Bildschirm geklebt.
»Udo Massicotte besitzt eine Menge Unternehmen«, antwortete er. »Er hat doch bereits in den Siebzigerjahren begonnen, private Kliniken für plastische Chirurgie zu gründen. Dann etablierte er sich in Brasilien, Thailand und Osteuropa. Es ist ein wirres Geflecht internationaler Unternehmenskonstellationen, und viele der Firmen sind in diversen Steuerparadiesen gut geschützt.«
»Dazu habe ich zwei Fragen«, sagte Hjelm mit vorbildhafter Präzision. »Frage eins: Wir wissen ja ziemlich genau, wann Massicotte W in Paris aufgesucht hat. Es dürfte im Oktober 1994 gewesen sein. Gibt es ein Unternehmen, das in der näheren Umgebung zu diesem Zeitpunkt gegründet wurde?«
»Das habe ich überprüft«, antwortete Navarro. »Es gibt kein neu registriertes Unternehmen unter Massicottes Namen, weder 1994 noch danach. Aber die Gründung kann natürlich in einem Steuerparadies stattgefunden haben.«
»Frage zwei«, sagte Hjelm. »Was ist nach dem angeblichen Tod Massicottes aus seinem Imperium geworden? Wer hat ihn beerbt?«
»Es gibt keine Erben«, antwortete Navarro. »Aber man hat, wenn auch kein formelles Testament, so doch offenbar eine Art Letzten Willen gefunden. Alle uns bekannten Unternehmen sind von einer sozialen Stiftung übernommen worden, in der er offenbar selbst aktiv war.«
»Was für eine Stiftung? Eine Wohltätigkeitsorganisation?«
»Ja, eine sogenannte Non-Profit-Organisation, NPO, mit Sitz in Nizza, Frankreich. Sie heißt Visio und vergibt Gelder an mittellose Personen, die dringenden Bedarf an einer chiroplastischen Operation haben. ›Visio‹ bedeutet auf Latein Ansehen, Erscheinung, und die Stiftung scheint hauptsächlich die Rekonstruktion verunstalteter Gesichter in der Dritten Welt zu finanzieren.«
»Und jetzt besitzt Visio also ein weltumspannendes Konsortium an Kliniken für plastische Chirurgie?«
»Man stelle sich vor, unser Freund Udo Massicotte wäre auf seine alten Tage hin noch zum Menschenfreund geworden«, sagte Kowalewski. »Er ist untergetaucht, um dem Mörder W zu entfliehen, und widmet sich nun in aller Stille dieser wahren humanitären Aufgabe. Tut letzten Endes Buße. Um in den Himmel zu kommen.«
»Ich habe dennoch das Gefühl, dass die Firma, die auf dem Versuch der Sektion gegründet wurde, auf genetischem Weg ›die perfekte Leitfigur‹ zu erschaffen, nicht durch und durch menschenfreundlich ist«, wandte Hjelm ein.
»Aber warte mal«, rief Jutta Beyer aus. »Nizza? Führen in diesem Fall nicht alle Wege nach Nizza?«
»Wir hatten dort die zwei Kreditkartenzahlungen«, stimmte Hjelm nachdenklich zu. »Im selben Hotel. Beim ersten Mal zahlten Vacek, Hamilton III. und Dahlberg mit Hamiltons Kreditkarte. Beim zweiten Mal waren es Rigaudeau und Udo Massicotte. Im Hôtel de la Méditerranée.«
»Nizza«, sagte Corine Bouhaddi zögerlich. »Die Riviera. Und jetzt hat diese Organisation Visio auch noch ihren Sitz dort. Eine neureiche Wohltätigkeitsorganisation. Ist es möglicherweise so, dass die Firma die ehemaligen Forschungsräume der Sektion übernommen hat? Und dass die sich in der Nähe von Nizza befinden? Vielleicht hält sich Massicotte irgendwo in der Gegend versteckt, um sein Lebenswerk im Blick zu behalten?«
»Das ist ein absolut plausibler Gedanke«, antwortete Hjelm. »Wir müssen allem, was mit dieser Region zusammenhängt, besondere Beachtung schenken. Noch weitere Gedanken?«
»Was genau gehört deiner Meinung nach zu dieser Region?«, fragte Bouhaddi.
Paul Hjelm sah sie verblüfft an. »Woran denkst du denn?«, fragte er.
»Nur an die nähere Umgebung. Wir waren doch in der Gegend.«
»In der Gegend?«
»Auf Capraia«, antwortete Bouhaddi. »Obwohl es Viktor Larsson war, der Roman Vacek dort hingelockt hat. W ist Vacek nur gefolgt. Wie auch immer ihm das gelungen ist. Für Larsson war es lediglich eine Gefängnisinsel von vielen.«
»Aber ...«, wandte Jutta Beyer ein.
»Ja?«, fragte Hjelm nach.
»Aber als ich den Wanderer vernommen habe, diesen Winfried Baumbach aus Wolfsburg, hatte ich den Eindruck, dass er sich schon etwas länger dort aufgehalten hatte.«
»Aus welchem Grund?«
»Darum erschien er mir auch so glaubwürdig. Ungewaschene Haare, leicht unangenehmer Geruch. Als hätte er einige Tage im
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