Zorn: Thriller (German Edition)
wohin?«
»Nach Morsiglia auf Korsika.«
»Stimmt das?«, fragte Balodis den Kapitän.
»Ja«, antwortete Rouzier heiser. »Morsiglia, im Norden Korsikas, Departement Haute-Corse.«
Balodis durchsuchte Jonquets Taschen. Sie zog ein Handy hervor und hielt es hoch.
»Und dann haben Sie das hier bekommen?«, fragte sie.
»Ja«, schnaubte Jonquet. »Er wollte mich anrufen, wenn ich auf Korsika angekommen bin.«
Balodis betrachtete das Handy näher. In dem Augenblick begann es zu vibrieren. Sie war nahe dran, es fallen zu lassen, aber für heute hatte sie schon genügend Dinge fallen gelassen.
Es war eine SMS. Sie bestand aus einem einzigen Wort und lautete: »Morsiglia«. Von einer unbekannten Nummer aus gesendet.
»Wenden Sie das Schiff«, rief Balodis.
Kapitän Rouzier gab wieder Gas und vollführte einen waghalsigen U-Turn in maximaler Geschwindigkeit.
»Ich kann dir nicht ganz folgen«, sagte Kowalewski, der nun aufhörte, hin und her zu laufen, und sich neben Balodis stellte.
»W will, dass wir zu ihm kommen«, erklärte Balodis. »Aber er will einen geraumen Vorsprung haben. Ungefähr zweieinhalb Stunden. Aus dem Grund hat er diesem Drogendealer das Handy und die Kapuzenjacke gegeben.«
»Er wusste also die ganze Zeit, dass wir ihn verfolgen?«
»Deswegen hat er ja das Handy behalten, nachdem er die SMS in Stockholm geschrieben hatte. Damit die Polizei ihn verfolgen könnte. Er will, dass wir Massicotte kriegen. Aber erst, wenn er tot ist.«
»Massicotte, der sich in Morsiglia im Norden Korsikas aufhält?«
»Ja«, antwortete Balodis. »Bewacht von einem Dutzend Legionäre mit Christopher James Huntington an der Spitze.«
»Wir müssen dorthin«, sagte Kowalewski.
»Wir müssen erst die anderen holen«, erklärte Balodis.
»Wieso eigentlich ›Drogendealer‹?«
»Er hat drei Tütchen Schnee in der Tasche. Aber darauf pfeifen wir. Du hast ihn ja bereits abgestraft, mein in jeder Hinsicht großer Pole.«
»Du bist schließlich gestürzt«, entgegnete Kowalewski beschämt.
Balodis zog eine finstere Grimasse und bat: »Erzähl es bloß keinem.«
»Wenn du auch nichts erzählst.«
»Was denn?«
Kowalewski räusperte sich. »Du weißt schon«, sagte er dann. »Da drinnen im Kabuff.«
Laima Balodis lachte und legte Kowalewski dezent die Hand auf den Schritt.
»Das bleibt mein Geheimnis.«
In Marek Kowalewskis Gesicht kehrte mit einem Mal die Farbe zurück. Und zwar ziemlich intensiv.
Zwillingsvillen
Morsiglia, Korsika, 1. Juni
Das pfeilschnelle Wassertaxi war an diesem Nachmittag bereits seit Stunden unterwegs, als Paul Hjelm seine etwas entkräftete Schar um sich versammelte. Mit an Bord waren Corine Bouhaddi und Laima Balodis, Jutta Beyer und Marek Kowalewski, Arto Söderstedt und Vera Volkova. Während die Frühsommersonne über die spiegelnde Wasseroberfläche glitt, musste Paul Hjelm feststellen, dass sie nicht gerade einer erstklassigen Elitetruppe glichen. Sie waren zwar ausgezeichnete Polizisten, sogar mit die besten Europas, aber natürlich keineswegs eine Einsatztruppe. Außerdem hatten sie eine Zivilistin bei sich. Andererseits war gerade die vielleicht ihr Trumpf.
»Wir werden natürlich keinen Angriff auf Massicotte unternehmen«, erklärte Hjelm. »Wir haben die französische Polizei informiert, aber die bürokratischen Mühlen mahlen nun einmal langsam. Sie haben zwar bestens ausgestattete Einsatztruppen, aber die müssen eben auch genau instruiert werden, was sie zu tun haben. Und es ist nicht ganz leicht, die Sache zu erklären.«
»Haben Navarro und Sifakis schon etwas gefunden?«, fragte Beyer.
»Aus diesem Grund möchte ich mit euch reden. Denn ich habe gerade mit Angelos gesprochen. Morsiglia ist ein sehr kleiner Ort an der Westseite der Nordspitze Korsikas, die sich Cap Corse oder ›die Insel in der Insel‹ nennt, ›l’île dans l’île‹. Er hat nicht mehr als hundertfünfzig Einwohner. Aber vor nicht allzu langer Zeit wurden außerhalb des Orts am Meer nicht nur eine, sondern zwei aneinandergrenzende Villen errichtet. Ziemlich große Gebäude. Sie gehören einer amerikanischen Stiftung, die keine Verbindung zu Visio in Nizza hat. Oder bisher nicht zu haben schien. Doch das hat sich gerade geändert. Als Sifakis sich eingehender mit dieser Stiftung befasste, stieß er auf laufende Ermittlungen des FBI. Es geht um das Verschwinden eines amerikanischen Staatsbürgers im vergangenen Jahr. Die Stiftung spielt zwar keine Hauptrolle in der Untersuchung, aber als
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