Zorn: Thriller (German Edition)
nicht darum, wie man es nennt«, antwortete Donatella Bruno. »Es ist ganz einfach eine Bisswunde. Nach Aussage des Rechtsmediziners wird man vermutlich einen schönen Abdruck des Gebisses erkennen können, wenn man die Wunde genauer untersucht. Ich kann außerdem hinzufügen, dass ihm dieser ziemlich gigantische Biss posthum beigebracht wurde.«
»Posthum?«, fragte Hjelm.
»Er war bereits tot, als er gebissen wurde«, erklärte Bruno.
»Die Bedeutung ist mir schon klar«, entgegnete Hjelm matt. »Aber wie lautet die Todesursache?«
»Darüber streiten sich die Gelehrten«, antwortete Bruno. »Offensichtlich ist das hier.« Sie umfasste Roman Vaceks Arm mit festem Griff und richtete seinen Oberkörper so weit auf, dass eine große Stichwunde in der linken Bauchregion sichtbar wurde, umrahmt von einer eingetrockneten Blutlache. Dann legte sie den Toten wieder ab und atmete aus.
»Messerstich«, tippte Bouhaddi. »Aber kein Messer?«
»Kein Messer.« Donatella Bruno nickte. »Und außerdem noch eine weitere Komplikation. Schaut mal hier.«
Sie folgten ihrem Finger zu Roman Vaceks behaarter Schulter. Zwischen den grau-weißen Haaren zeichnete sich ein kreisrundes kleines rotes Loch ab.
»Sein Jackett, sein Hemd und seine Krawatte liegen draußen unter der Plane«, sagte Donatella Bruno und wies zur Tür hinaus. »Jackett und Hemd sind an derselben Stelle durchstochen. Und das Blut ist noch nicht geronnen. Es ist ein frischer Einstich.«
»Also eine Injektion«, meinte Hjelm. »Eine von zwei möglichen Todesursachen.«
»Wenn ich mich bei dem Messerstich nicht täusche«, meinte Corine Bouhaddi, »handelt es sich um einen klassischen Einstich genau unter den Rippen hindurch hinauf ins Herz. Er muss tödlich gewesen sein.«
»Wenn der Professor nicht bereits tot war«, entgegnete Bruno.
Hjelm erklärte: »Wenn das Messer in ein intensiv schlagendes Herz eindringt, spritzt das Blut nur so heraus. Wenn das Herz hingegen bereits aufgehört hat zu schlagen, tritt weniger Blut aus, auch wenn ein posthumer Stich ins Herz ebenfalls stark blutet.«
»Danke für die ausführliche Information«, sagte Donatella Bruno mit einem süffisanten Lächeln. »Wie verhält es sich also in diesem Fall? Genügend Blut für den Chef?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Hjelm und überlegte eine Zehntelsekunde lang, ob er die Stirn in Falten legen oder selbstironisch lächeln sollte. »Ein großer Mann, also viel Blut. Offenbar scheint es aber nicht herausgespritzt zu sein. Was jedoch auch am Druck des Messers und dem Zeitpunkt des Herausziehens liegen kann.«
»Dafür haben wir ja Rechtsmediziner«, sagte Arto Söderstedt von dem kleinen, mit einem Gitter versehenen Zellenfenster aus. »Aber hierfür nicht. Habt ihr gemerkt, dass sie immer noch leuchtet?«
Er zeigte auf eine Taschenlampe auf dem Fenstersims, die ein bläuliches Licht ausstrahlte, das in die Zelle gerichtet war. Es war dunkel genug, um die Andeutung eines hellblauen Lichtkegels an der Wand neben der kaputten Tür zu erkennen.
»LED-Lampen verbrauchen nicht viel Strom«, erklärte Donatella Bruno. »Wir haben sie lieber unberührt liegen gelassen. Die Kriminaltechniker haben den Tatort bisher lediglich in Augenschein genommen und noch nicht bis ins kleinste Detail durchsucht. Wir wollten auf euch warten. Sagt nur, wenn wir etwas falsch gemacht haben.«
»Ich nehme an, dass ›wir‹ ›ich‹ bedeutet«, entgegnete Paul Hjelm. »Und nein, ›ihr‹ habt nichts falsch gemacht. Wir sind angesichts dieser Möglichkeiten sehr dankbar.«
»Und warum liegt sie hier?«, hakte Söderstedt nach.
»Es war mitten in der Nacht«, antwortete Bruno. »Jemand brauchte Licht.«
»Und wer war das?«, beharrte Söderstedt und betrachtete die moderne Taschenlampe eingehender.
»Tja«, meinte Bouhaddi, »der Täter?«
»Ganz sicher sind noch ziemlich viele Fragen offen«, fuhr Söderstedt fort. »Vor allem aber diese: Was hatte der EU-Parlamentarier Roman Vacek hier zu suchen? Wer die Lampe hier in die Fensternische gelegt hat, gehört ebenso zu den Fragen. Und da diese Taschenlampe des exquisiten Modells Fenix TK10 mit den Initialen R. V. versehen ist, kommt der Frage eine gewisse Bedeutung zu.«
»Die Taschenlampe des Opfers also?«, ergänzte Bouhaddi.
»Was den Täter nicht daran gehindert haben muss, sie selbst dort hinzulegen. Wenn wir hingegen annehmen, dass es R. V. war, dann tat er es nicht aus Angst. Er wollte Licht. Ich denke, dass diese Taschenlampe und ihre
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