Zorn: Thriller (German Edition)
menschlichen Existenz?«
»Es gibt zwei Dinge, die ihr Europäer euch einfach nicht wegdenken könnt, und das sind Alkohol und Sex. Wenn ich sagen würde, dass keines von beiden auch nur irgendeine Rolle in meinem Leben spielt, wie fremd wäre ich dir dann?«
»Ziemlich«, gab Navarro zu. »Aber auf spannende Art und Weise.«
»Weil meine gesammelte sexuelle Frustration mich heute Abend hierher getrieben hat?«
»So hätte ich es nicht ausgedrückt. Aber das macht die Sache natürlich umso interessanter.«
Bouhaddi lachte.
Navarro lachte mit und meinte dann: »Andererseits kann man die Lust auf Alkohol wohl nicht so ganz mit der Lust auf Sex vergleichen ...«
»Jetzt überschätzt du aber die Biologie«, erwiderte Bouhaddi. »Wie du es auch tust, wenn du ein Kind zeugst. Und dann Angst davor hast. Biologische Angst.«
»Das stimmt vermutlich. Aber ich wünsche mir wirklich ein Kind. Warum habe ich also Angst?«
»Weil sich dein Leben radikal verändern wird«, antwortete Bouhaddi und drückte ihren Joint aus. »Weil du zu einer Verantwortung gezwungen wirst, die dein gesamtes bisheriges Leben in einen Jugendtraum verwandeln wird. Weil du ein Kontrollmensch bist, der weiß, dass das Heranwachsen eines Kindes nur sehr wenig mit Kontrolle und Beherrschung zu tun hat. Und weil es verdammt anstrengend zu Hause werden wird.«
»Vermutlich.« Navarro lächelte und betrachtete die langsam erlöschende Kippe im Aschenbecher. »Ich würde gern mal einen probieren.«
»Bist du dir sicher?«, fragte Bouhaddi. »Das erste Mal kann etwas ... überraschend sein.«
»Ich bin mir sicher. Ich brauche eine Überraschung. Kannst du mir das Mildeste besorgen, was es gibt?«
Während Bouhaddi in Richtung Theke ging und den Barmann auf Holländisch ansprach, musste Navarro über das nachdenken, was sie gesagt hatte. Es würde zweifellos verdammt anstrengend zu Hause werden.
Bouhaddi kehrte mit zwei leicht kegelförmigen Zigaretten zurück, einer rosafarbenen und einer hellblauen. Sie zündete beide an und gab Navarro die rosafarbene.
Er betrachtete sie. Es war nur ein kleiner Schritt. Vielleicht würde seine Unruhe, die sich bereits stark verringert hatte, ganz verschwinden? Er nahm den Joint in den Mund und sog daran. Dann fragte er: »Du sprichst also Holländisch?«
»Ein bisschen«, antwortete Bouhaddi und nahm ebenfalls einen Zug. »Ich habe einen Kurs belegt, schließlich lebe ich ja allein, ohne Sex. Da habe ich Zeit.«
Navarro lachte auf, dann stellte er fest, dass seine Füße in Richtung Ausgang wanderten. Da das nicht gerade der Anblick war, den er zu sehen gehofft hatte, starrte er rasch vor sich auf die Wand. Um zu prüfen, ob die Wand sich ebenfalls veränderte. Sie tat es nicht. Doch als er den Blick wieder zurück auf den Ausgang richtete, standen seine Füße dort und warteten auf ihn. Mit Schuhen und allem Drum und Dran.
»Meine Füße sind weggelaufen«, sagte Navarro.
»Aha«, meinte Bouhaddi mit einem leichten Seufzer. »Sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.«
»Davon hast du mir nichts gesagt.«
»Wie es scheint, ist der Abend wohl zu Ende«, stellte Bouhaddi fest. »Vielleicht ist es auch gut so. Können deine Füße noch warten, bis ich fertig geraucht habe?«
Navarro warf einen Blick auf seine Füße. Sie wirkten zwar etwas ungeduldig, aber sie standen noch da. Allerdings begann seine linke Hand nun sich ziemlich seltsam zu bewegen. Er berichtete Corine Bouhaddi von seinem Zustand.
Sie meinte: »Ich glaube, ungefähr so würde es mir ergehen, wenn ich Alkohol probieren würde. Halt die Hand einfach dicht am Körper. Es könnte stressig werden, wenn wir ihr auch noch hinterherlaufen müssten. Sie kann bestimmt fliegen.«
Er sog ein weiteres Mal an seinem kegelförmigen rosafarbenen Joint. Bouhaddi nahm ihn ihm aus der Hand und zerdrückte ihn im Aschenbecher.
»Ich habe das Gefühl, dass die Zeit jetzt ziemlich schnell voranschreitet«, sagte Navarro. »Sollen wir direkt zum Europolgebäude gehen?«
»Das wäre eher ein Fehler«, antwortete Bouhaddi ruhig und nahm einen tiefen Zug von ihrem hellblauen Joint.
»Vor Hjelm kann ich mich ja nicht so benehmen«, meinte Navarro. »Müssen wir direkt zu ihm gehen? Es ist ja immerhin eine Liveübertragung.«
»Ich überlege gerade, ob ich dich in seinen Briefkasten werfen soll«, entgegnete Bouhaddi und nahm noch einen Zug. »Könntest du dich in eine Morgenzeitung verwandeln?«
»Die Zeit faltet sich zusammen«, antwortete
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