Zorn: Thriller (German Edition)
»Halt bloß das Gespräch am Laufen«. Woraufhin Söderstedt fragte: »Und jetzt locken Sie mich, indem Sie behaupten, mich keineswegs locken zu wollen, oder? Wirklich sehr subtil.«
»Das Subtile ist der Zufall. Sie standen bereits von Anfang an auf meiner Liste. Doch da standen schließlich viele. Jetzt muss ich aber Schluss machen, bevor Ihre Fangschaltung steht. Wir sehen uns bald, Mister Sadestatt.«
»Ich fürchte auch«, entgegnete Arto Söderstedt.
Doch da war das Gespräch bereits beendet.
Staffellauf
Stockholm – Göteborg – Stockholm,
25. Mai
Kerstin Holm saß bereits auf ihrem Sitz im Flugzeug, als sie die Mail empfing. Viel zu langsam wurden die Dateien auf ihr Handy geladen; die Stewardess hatte bereits zweimal darum gebeten, jegliche elektronische Ausrüstung auszuschalten.
»Versteck es«, flüsterte Jorge Chavez vom Fensterplatz aus.
Sie schob ihr Handy unter den rechten Oberschenkel, und es gab erst einen Klingelton von sich, als das Flugzeug durch die Wolkenschicht hindurch aufgestiegen war, wo normalerweise kein Handyempfang mehr zu erwarten gewesen wäre. Dennoch war das gesamte Paket mit Fotos, Daten und einer Sprachdatei zu Kerstin Holms großem Erstaunen geladen worden. Es gelang ihr, das Paket per Bluetooth an Jorges Handy zu schicken, sodass sie den kurzen Flug zwischen den beiden größten Städten Schwedens damit verbringen konnten, alles gemeinsam durchzugehen.
Nicht zuletzt die Sprachdatei, die das ziemlich befremdliche Telefonat mit Arto Söderstedt beinhaltete. Eine ihrer Aufgaben: die Stimme von Marina Ivanova mit der rauen Stimme auf der Datei zu vergleichen.
Gedanklich waren sie noch bei Johnny Råglind und dem mystischen Wall-e auf der Götgatan und mussten sich nun vollständig neu orientieren. Bisher war der mystische Kommunisten hassende Serienmörder nur eine Geschichte gewesen, die ihnen ihre Partner eher beiläufig erzählt hatten. Doch jetzt war sie plötzlich hochaktuell geworden. Und sie bestand aus einer großen Anzahl polizeilicher Ermittlungsunterlagen aus allen Ecken und Winkeln des Erdballs sowie von diversen mehr oder weniger stillgelegten Gefängnissen auf ebenso vielen Gefängnisinseln und einer Handvoll Zitaten aus dem Grafen von Monte Christo . Sowie Paul Hjelms kryptischer Aufforderung: »Versucht euch die Frau Dozentin mit vollem schwarzen Haar und schwarzem Schnauzbart vorzustellen.«
Kerstin Holm sah, wie Jorge Chavez mit einem warmherzigen Lächeln den Kopf schüttelte, und dachte einen kurzen Augenblick über die unterschiedlichen Formen von Freundschaft nach. In diesem Moment landeten sie. Sie stiegen aus dem Flugzeug und betraten die kleine Ankunftshalle von Landvetter. Warfen einen Blick auf die Warteschlange am Gate vor dem nach Stockholm zurückfliegenden Flugzeug. Draußen winkten sie ein Taxi herbei und stellten mit einem raschen Blick auf die Uhr fest, dass es 14.30 Uhr war.
Der Taxifahrer fuhr gemäß ihren Anweisungen schnell. Vielleicht sogar etwas zu schnell. Jedenfalls kamen sie um zehn Minuten vor drei an der Universität Göteborg an, vierzig Minuten vor dem Ende der letzten Vorlesung von Marina Ivanova. Sie verbrachten fünf Minuten damit, sich zu orientieren, und liefen dann, ohne zu zögern, durch die mehr oder weniger alten Gebäudeteile. Schließlich fanden sie, wonach sie suchten. Saal T 302.
Sie hatten einen kurzen Moment zum Durchschnaufen. Den Rücken strecken. Dann nickte Kerstin Jorge zu.
Sie öffneten die Tür. Vorn am Katheder stand niemand. Im Saal saß eine Gruppe von fünf jungen Leuten mit rosigen Wangen über aufgeschlagenen Büchern. Irritierte Blicke trafen die beiden Polizisten.
»Sollte hier nicht Marina Ivanovas Vorlesung stattfinden?«, brachte Kerstin Holm hervor.
»Doch«, antwortete einer. »Aber sie musste etwas früher gehen. Also hieß es für die zweite Hälfte autodidaktisches Arbeiten. Die meisten sind allerdings nach Hause gegangen.«
»Sie musste gehen?«, fragte Chavez.
»Sie musste nach Stockholm fliegen«, antwortete der junge Mann. »Zu irgendeiner Konferenz, glaube ich. Und wer sind Sie?«
»Verdammt«, stieß Chavez aus und machte auf dem Absatz kehrt.
Kerstin hatte bereits ihr Handy gezückt, und während sie in Richtung Ausgang liefen, rief sie ins Telefon: »Sara, gut, dass du dich meldest.«
»Aber auch nur, weil ich vergessen habe, mein Handy auszuschalten«, entgegnete Sara mit knisternder Stimme.
»Also sitzt ihr bereits im Flugzeug?«
»Wir sind auf dem Weg hinein.
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