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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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ging er darauf ein, und häufig genug geschah es, dass er morgens in einem anderen Bett erwachte, neben einer Frau, die er kaum kannte.
    Das Mädchen sah gut aus. Dieser Umstand – und die Tatsache, dass sie ihn so unverhohlen aus hellen, fast durchsichtigen Augen anstarrte – führte dazu, dass Claudius Zorn mehr und mehr verunsichert wurde. Er wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. Also murmelte er nur einen unverbindlichen Gruß und starrte konzentriert auf die Notrufklingel, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt.
    Die nächste Minute wurde dem armen Zorn zur Qual. Sie wandte keine Sekunde den Blick, lächelte ihn an, und es fehlte nicht viel, und er hätte aus Verlegenheit vor sich hingepfiffen.
    Schließlich verlor Zorn die Geduld. Er öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass sie sich gefälligst jemand anderen suchen solle, den sie am frühen Morgen so hemmungslos anflirten könne, doch in diesem Moment hielt der Fahrstuhl, und das war Zorns Glück. Mit zwei Schritten war sie im Flur, blieb dann stehen und drehte sich noch einmal um.
    »Was ist?«, fragte Zorn und verschränkte die Arme vor der Brust in der Hoffnung, so besonders lässig zu erscheinen.
    »Du hast Zahnpasta am Mund«, sagte sie und verschwand um die Ecke.
    Das Einzige, was zurückblieb, war ein leichter Hauch nach Flieder.
    Zorn tastete unwillkürlich nach seiner Dienstwaffe, die zum Glück im Büro lag. Denn hätte er sie dabeigehabt, so hätte er sich umgehend erschossen.
    *
    »Das Zeug ist zwanzigmal stärker als Morphium, aber keineswegs selten. Wie gesagt, er könnte es aus jeder x-beliebigen Apotheke haben.«
    Schröder wirkte frisch und rosig wie immer. Nur wenn man genau hinsah, bemerkte man die kaum sichtbaren Schatten unter seinen Augen, die darauf hinwiesen, dass er in der letzten Nacht wenig oder gar nicht geschlafen hatte. Auf die Sekunde genau um neun war er an diesem Mittwoch zum Rapport in Zorns Büro erschienen.
    »Aber er brauchte ein Rezept«, knurrte Zorn, der wegen des peinlichen Vorfalls im Fahrstuhl besonders missgelaunt zum Dienst erschienen war.
    »Korrekt, Chef. Und wir wissen nicht, in welcher Form sie das Mittel verabreicht bekam.«
    »Tabletten?«
    »Oder Zäpfchen.«
    »Das ist nicht dein Ernst, Schröder.«
    »Natürlich nicht, Chef.«
    Zorn überlegte.
    »Er kann es ihr auch gespritzt haben«, fuhr Schröder fort.
    »Wissen wir erst, wenn wir die Leiche haben.« Zorn nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Schröder gestattete sich ein vorwurfsvolles Husten, das Zorn geflissentlich überhörte.
    »Lass sämtliche Ärzte und Krankenhäuser abklappern und nachfragen, wer in der letzten Zeit dieses Mittel verschrieben hat.«
    »Genauer gesagt«, Schröder raschelte mit einigen Papieren, »in den letzten zwei Jahren. So lange ist Buprenorphin laut Medikamentenliste haltbar.«
    Zorn lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wer sagt uns eigentlich, dass der Killer nicht selbst Arzt ist? Oder Apotheker?«
    »Oder drogensüchtig«, meinte Schröder.
    »Wieso?«
    »Buprenorphin wirkt ähnlich wie Methadon. Wird verschrieben, um Junkies den Entzug zu erleichtern.«
    »Das heißt, dass wir eine Spur haben, die keine ist.«
    »Nicht wirklich, Chef.«.
    »Okay.« Zorn rieb sich mit Daumen und Zeigefinger zwischen den Augenbrauen. »Was ist mit dem CD -Player?«
    »Davon gibt’s wahrscheinlich Hunderte in der Stadt, das Modell wird seit Jahren in jedem Mediamarkt angeboten. Fabrikneu, wahrscheinlich direkt am Tatort ausgepackt, keinerlei Spuren.«
    Jetzt fiel Zorn endlich ein, weswegen er Schröder am vorigen Abend angerufen hatte. Kurz dachte er an den unschönen Vorfall mit der Streife, schob den Gedanken beiseite und fragte: »Und die CD ?«
    »Wie meinen?«, fragte Schröder verblüfft.
    »Wenn ich recht informiert bin«, erwiderte Zorn spitz, »wurden wir wegen ruhestörenden Lärms an den Tatort gerufen, und mich würde interessieren, woraus konkret dieser Lärm bestand. Will sagen, was genau für Musik auf dieser CD ist. Und wie bekommen wir das heraus?«
    Schröder war rot angelaufen, sah sich in Zorns verqualmtem Büro um und setzte zu einer Antwort an: »Indem wir …«
    »Das war eine rhetorische Frage«, unterbrach Zorn, »aber du hast recht. Wir sollten uns die CD näher betrachten. Wärst du so freundlich und würdest das noch …«, Zorn beugte sich über seinen Schreibtisch nach vorn, »… eruieren?«
    Jetzt muss er mich einfach hassen, dachte Zorn

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