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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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beigefarbene Leder des Fahrersitzes. »Und es ist mir nicht entgangen, dass Sie während der Fahrt telefoniert haben.«
    Fuck, dachte Zorn.
    »Haben Sie Alkohol getrunken?«
    »Ja«, erwiderte Zorn und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Schon oft.«
    Der Wachtmeister schien einen Moment zu überlegen. »Okay«, seufzte er dann. »Dürfte ich den Herrn Hauptkommissar um Fahrerlaubnis und Fahrzeugpapiere bitten?«
    Das, was nun folgte, hätte selbst einem erfahrenen Psychologen Rätsel aufgegeben. Oder wie ließ es sich erklären, dass der sonst nach außen so überlegt handelnde Claudius Zorn dem verdutzten Streifenpolizisten den Mittelfinger zeigte, wortlos seinen Wagen startete und mit Vollgas davonbrauste?
    *
    Er fühlte sich seltsam erleichtert, als er daheim in die Tiefgarage einbog. Natürlich war ihm klar, dass seine überstürzte Flucht ein Nachspiel haben würde, doch das war ihm im Moment egal, und als er in den Fahrstuhl zu seiner Wohnung stieg, hatte er den Vorfall schon vergessen.
    In den sechziger Jahren hatte man einen Großteil des historischen Stadtkerns abgerissen und später anstelle der mittelalterlichen Fachwerkhäuser zwei vierzehnstöckige Neubaublocks in den Boden gerammt. Besonders talentierte Strategen des städtischen Marketings hatten irgendwann entschieden, diese beiden Betonklötze in Ermangelung anderer herausragender Bauten zum Wahrzeichen der Stadt zu erklären.
    Zorn wohnte im obersten Stockwerk des sogenannten Nordturms. Dieser Bau, da war er sich sicher, musste von demselben untalentierten Bauplaner entworfen worden sein, der das neue Präsidium errichtet hatte. Beides konnte nur ein und demselben kranken Architektenhirn entsprungen sein. Dennoch liebte Zorn sein fünfzig Quadratmeter großes Zuhause. Hatte er erst einmal den schmutzigen Fahrstuhl, den Flur mit dem rissigen, verdreckten Linoleum und den flackernden Neonröhren passiert und die Wohnungstür hinter sich geschlossen, war er zufrieden.
    Denn er stellte keine großen Ansprüche an das Leben. Wichtig waren ihm seine Zigaretten, seine Ruhe und die Bang&Olufsen-Stereoanlage. Genau in dieser Reihenfolge. Mit siebzehn hatte er angefangen, Platten zu sammeln, und nun, fast 25 Jahre später, standen sie meterweise in seinem Regal. Anfangs hatte er sie noch alphabetisch geordnet, doch als er vor sieben Jahren hier eingezogen war, hatte er die Schallplatten bewusst willkürlich einsortiert. Schließlich war sein Berufsleben durchorganisiert genug.
    Er holte sich ein Bier, nahm wahllos eine Platte und legte sie auf. Ein kurzes Knacken, dann lärmten die Pixies durchs Zimmer, es war, als würden die Gitarren sämtliche Luft aus dem Raum saugen, das Schlagzeug hämmerte wütend gegen die Wände. Zorn drehte etwas leiser und ging zum Fenster.
    Diese Stadt ist nicht mehr als ein Haufen Dreck, dachte er, nahm einen tiefen Schluck und blickte über die frisch sanierten Dächer, die weit unter ihm im Regen glänzten.
    »With your feet in the air and your head on the ground«,
schrie Frank Black.
    Zorn zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen das Fenster. Ich mag ihn nicht, diesen trostlosen Ort mit dem überdimensionierten Fußballstadion für einen viertklassigen Verein, seinem mittelmäßigen Theater und dem hypermodernen, zur Hälfte leerstehenden Kongresszentrum. Das alles bedeutet mir nichts. Genauso wenig wie jede andere Stadt. Aber irgendwo muss der Mensch ja leben.
    Und wenn ich schon nicht in die Ferne kann, dann flüchte ich halt nach oben.
    »Your head will collapse but there’s nothing in it«
, donnerte es aus den Lautsprechern.
    Hier stehe ich nun und denke melodramatischen Mist, dachte Zorn. Aber ich bin zufrieden. Das traf es ganz gut – ›glücklich‹ wäre übertrieben gewesen, Glück war ein zu großes Wort. Manchmal dachte er, dass viele kleine, zufriedene Momente besser wären als ein kurzes, großes, vergängliches Glück.
    Aber sicher war er da nicht. Wie auch? Er hatte es ja noch nicht erlebt, das große Glück.
    »Where is my mind?«,
klagten die Pixies.
    Ich habe keine Ahnung, dachte Zorn und setzte sich aufs Sofa.
    Mist, ich habe wirklich keine Ahnung.
    *
    Er wurde vom Klingeln des Telefons geweckt und wusste im ersten Moment nicht, wo er war. Die Nadel des Plattenspielers knackte monoton im Leerlauf.
    »Was ist?«, nuschelte Zorn verschlafen.
    »Chef?«
    »Wie spät ist es?«
    »Halb elf. Hab ich dich geweckt?«
    »Quatsch«, knurrte Zorn.
    »Du hattest angerufen.«
    Zorn griff

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