Zorn - Tod und Regen
Eimer neben die Badewanne gestellt. Und einen Wischlappen.«
Mahler sprach langsam, fast ungläubig, als müsse er bei jedem Wort überlegen, ob das, was er da erzählte, auch wirklich geschehen war.
»Sie wollte Ihnen keine Arbeit machen«, sagte Zorn leise.
»Nein, das wollte sie nicht.«
»Clara muss Sie sehr geliebt haben.«
»Irgendwann hatte sie aufgehört, mit mir zu schlafen. Ich weiß nicht, woran das gelegen hat, vielleicht lag es an den Tabletten, ich habe sie nie gefragt, und ich habe sie auch nicht bedrängt.« Mahler dachte kurz nach. »Nein, das habe ich nie. Ich war froh, dass ich in ihrer Nähe sein durfte.«
Er holte tief Luft. »Haben Sie schon mal eine Badewanne voll Blut gesehen?«
Zorn schüttelte langsam den Kopf.
»Es war irgendwie surreal, diese schreienden Farben und mittendrin Clara, die irgendwie …«, Mahler suchte nach dem richtigen Wort, »zufrieden aussah. Und wäre dieser Geruch nicht gewesen, ich hätte es nicht geglaubt.«
»Haben Sie versucht, sie wiederzubeleben?«
»Nein.«
»Warum?«
»Wie gesagt: Sie sah so zufrieden aus.«
Zorn dachte nach.
»Sie haben noch einen Sohn, richtig?«
Für den Bruchteil einer Sekunde schien Mahlers Blick zu flackern.
»Das stimmt, er heißt Tom. Er und Ella sind Zwillinge.«
»Ich nehme an, Tom ist jetzt in der Schule?«
»Nein, ich habe ihn schon gestern früh zu meiner Schwester gebracht, weil ich in Ruhe mit Clara reden wollte. Er weiß noch nichts davon und …«
In diesem Moment piepste der Refrain von »Like a virgin« durch den Raum, der Rufton von Zorns Handy, den er sich irgendwann aus einer Laune heraus runtergeladen hatte. Alle Versuche, das Ganze rückgängig zu machen, waren gescheitert, und so hatte er sich damit abgefunden, für den Rest seines Lebens einen schlechten Popsong hören zu müssen, wenn er angerufen wurde.
Peinlich berührt griff er in die Brusttasche, sah Schröders Büronummer und warf Mahler einen entschuldigenden Blick zu.
»Ja?«, sagte er, stand auf und trat ans Fenster.
»Ich habe die ersten Ergebnisse der Pathologie. Clara Mahler scheint wirklich Selbstmord begangen zu haben.«
»Das ist mir klar, und …«
»Da ist noch was, Chef«, unterbrach Schröder.
»Ich höre.«
»Sie hat schwere Verletzungen, die zirka drei, vier Tage alt sind.«
»Was?«
»Würgemale und diverse Prellungen. Sie wurde misshandelt. Und es sieht so aus, als sei sie vergewaltigt worden.«
»Wann?«
»Das ist mindestens zweiundsiebzig Stunden her.«
Zorn warf einen Blick auf Mahler, der zusammengesunken auf dem Sofa hockte.
»Sonst noch was?«
»Nothing, Chef«, sagte Schröder und legte auf.
Zorn fuhr sich mit der Hand über den Nacken, schob den Sessel dicht an das Sofa und nahm direkt vor Mahler Platz. »Ich habe eine letzte Frage. Es ist eine unangenehme Frage, aber ich muss sie Ihnen stellen.«
»Ich bin müde, Herr Zorn.«
»Wann hatten Sie das letzte Mal Sex mit Ihrer Frau?«
Mahler schien aus weiter, weiter Ferne zurückzukommen.
»Ich habe sie geliebt«, murmelte er.
»Ich weiß.«
»Das letzte Mal, dass ich sie angefasst habe, war vor zwei Jahren, sieben Monaten und dreiundvierzig Tagen.« Mahler sah Zorn einen Moment in die Augen. »Und es war wunderschön.«
*
Es geschah selten, dass Claudius Zorn sich ernsthaft über andere Menschen Gedanken machte. Doch jetzt, als er zurück ins Büro fuhr, dachte er an den unglücklichen Henning Mahler, der ihm Dinge anvertraut hatte, die Zorn selbst niemals einem anderen Menschen erzählt hätte. Ihm war klar, dass es nicht an ihm lag, dass Mahler einfach jemanden zum Reden gebraucht hatte und dass er, Zorn, einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war. Vielleicht hatte Mahler aber auch gespürt, dass die Einsamkeit, die jetzt auf ihn wartete, eine Sache war, die Zorn sehr gut kannte.
Im Gegensatz zu Mahler allerdings, überlegte Zorn, komme ich mit dem Alleinsein bestens zurecht, und so war er mit seinen Gedanken wieder dort angekommen, wo er fast immer war: bei sich selbst.
»Like a virgin!«, plärrte Madonna, und wieder war es Schröder, der anrief, um ihm mitzuteilen, dass er den Termin bei Sauer auf den Nachmittag verlegt habe.
»Warum?«, fragte Zorn, verblüfft über so viel Eigenmächtigkeit.
»Ich dachte, du willst als verantwortlicher Beamter den Herrn Staatsanwalt lieber persönlich vom Stand der Ermittlungen unterrichten«, flötete Schröder und legte auf.
Du miese kleine, übergewichtige Ratte, dachte Zorn und musste
Weitere Kostenlose Bücher