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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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ein heiseres Knurren übergegangen.
    Langsam humpelte er näher. Links von ihm strömte der Fluss, sicherlich einen guten Meter höher als sonst um diese Jahreszeit. Wenn es so weiterregnet, dachte der Alte, gibt es ein Hochwasser, das sich gewaschen hat.
    Gott, wie albern, überlegte er: Ein Hochwasser, das sich gewaschen hat. Dann passierte er ein vergilbtes Pappschild mit der Aufschrift
Sozialismus – Das ist Menschlichkeit in Wort und Tat!
, das jemand vor Jahren achtlos in die Böschung geworfen haben musste.
    Je näher er der Bank kam, desto mehr spürte er, dass hier etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Es lag nicht daran, dass der Hund nicht auf ihn reagierte. Das war zwar ungewöhnlich, doch etwas anderes beunruhigte den alten Mann, eine Sache, die er nicht genau definieren konnte. Etwas Dunkles, Schwarzes schien sich über diesen Ort zu breiten.
    Als er die Bank endlich erreichte, blieben ihm nur Sekundenbruchteile, um zu erkennen, was sich darauf befand: Das blasse, feuchte Ding, das noch vor einigen Tagen eine beliebte Deutschlehrerin gewesen war, hockte zurückgelehnt auf der Bank und starrte ihn aus leeren Augenhöhlen an, den lippenlosen Mund zu einem grotesken Grinsen verzerrt.
    Ein jüngerer, stärkerer Mensch wäre wohl mit einem fürchterlichen Schrecken davongekommen. Das Herz des alten Mannes aber war verbraucht, über achtzig Jahre hatte es zuverlässig geschlagen, und jetzt, als die Bilder sein Hirn erreichten, zog ein weißer, blendender Schmerz seinen Brustkorb zusammen, ächzend ging er in die Knie und war bereits tot, als sein Kopf auf dem rissigen Beton aufschlug.
    Der Hut des alten Mannes rollte in einem eleganten Bogen über den Rand des Steges, landete mit einem leisen Klatschen im Wasser, wurde ein Stück mitgerissen, drehte sich noch einmal um sich selbst und versank dann in der schlammigen Strömung.
    *
    Die letzten beiden Tage hatte Zorn vor allem damit verbracht, Staatsanwalt Sauer aus dem Weg zu gehen. Natürlich, er konnte diesen Mann nicht leiden, der hauptsächliche Grund allerdings lag in der Tatsache, dass es so gut wie keinerlei neue Erkenntnisse gab. Warum also sollte er ein Gespräch führen, von dem er wusste, dass es nichts, aber auch gar nichts bringen würde? Ihm war klar, dass er dieses Versteckspiel nicht mehr lange würde durchhalten können, doch Zorn war ein Mann, der in kurzen Abständen dachte und unschöne Dinge im Leben so lange ignorierte, bis sie nicht mehr zu ignorieren waren.
    Um wenigstens Schröder den Eindruck zu vermitteln, dass er so etwas wie einen Plan habe, war Zorn zum mutmaßlichen Tatort in die Kantstraße gefahren, dorthin, wo vor mittlerweile vier Tagen die rätselhafte Blutlache gefunden worden war. Vielleicht, so hoffte er unterschwellig, hatte er ja Glück und würde doch noch etwas finden, eine Kleinigkeit, die sie bisher übersehen hatten. Und der Gedanke, dass ihm Sauer in diesem Keller garantiert nicht über den Weg laufen würde, war äußerst beruhigend.
    Die Tür klemmte. Zorn musste heftig zutreten, bevor sie sich schließlich quietschend öffnete. Im Keller herrschte ein düsteres Halbdunkel, es roch nach Fahrradöl und altem Holz, der getrocknete Blutfleck auf dem schmutzigen Betonboden hatte etwas Bedrohliches. Zorn trat ein, schloss vorsichtig die Tür und lehnte sich neben dem Eingang an die Wand.
    Die Spurensicherung hatte ganze Arbeit geleistet, jede kleinste, scheinbar verwertbare Stelle war markiert. Die Tür und verschiedene Stellen an den Wänden waren auf der Suche nach Fingerabdrücken mit Ruß- und Aluminiumpulver behandelt worden, auf dem Boden fanden sich Dutzende kleine Pappschilder, die Fußabdrücke und andere Spuren anzeigten. Die Akte hatte Zorn nicht gelesen, wusste aber von Schröder, dass der Täter fabrikneue Gummistiefel getragen hatte. Auch Talkumspuren hatte man gefunden, nach Aussage Schröders ging man davon aus, dass der Täter Chirurgiehandschuhe benutzt und somit keine verwertbaren Fingerabdrücke hinterlassen hatte. Die Abdrücke, die man gefunden hatte, stammten höchstwahrscheinlich entweder vom Opfer oder von ehemaligen Nutzern des Kellers, von denen es Hunderte geben konnte. Ähnlich verhielt es sich mit den Faserspuren, die akribisch dokumentiert, aber niemandem zuzuordnen waren.
    Solange man keinen Verdächtigen hatte. Und kein Opfer.
    Es geht nicht nur um physische Spuren, murmelte Zorn in sich hinein und rieb sich die klammen Hände. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die

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