Zorn - Tod und Regen
selbst. Doch ebenso, wie er in seinem Büro schon immer das allgemeine Rauchverbot ignoriert hatte, machte er sich selten Gedanken über die Konsequenzen seines Handelns.
Und so griff er denn in seine Brusttasche, zündete sich eine Zigarette an, atmete genüsslich aus und fragte: »Tabak? Ich rieche nichts, Herr Staatsanwalt.«
Sauer lachte kurz auf. »Es gibt ein paar Dinge, die wir klären müssen. Wir hatten drei Termine«, er hob tatsächlich drei Finger, als sei Zorn ein autistischer Vollidiot, dem man nicht nur akustisch, sondern auch optisch klarmachen musste, was gemeint war. »Anscheinend hast du vergessen, wer von uns beiden hier das Sagen hat. Wenn ich rufe, hast du anzutanzen. Im Ernst, ich mag es nicht, wenn man mich warten lässt, mein Lieber. Überhaupt nicht.«
Zorn trat einen Schritt näher. »Darf ich?«, fragte er höflich, schob die Füße des Staatsanwalts zur Seite und griff sich den Aschenbecher von seinem Schreibtisch. Die Tatsache, dass er in seinem eigenen Büro wie ein Schuljunge herumstehen musste, brachte ihn zur Weißglut. Dass Sauer ihm das Leben zur Hölle machen konnte, interessierte ihn im Moment herzlich wenig. Um nichts in der Welt allerdings hätte er den Staatsanwalt merken lassen, wie sehr es ihn wurmte, dass ihm jetzt partout keine passende Antwort – geschweige denn eine Ausrede – einfallen wollte. So tat er denn das, was er immer tat, wenn er ratlos war: Er schwieg und versuchte, nach außen hin einen möglichst gleichgültigen Eindruck zu vermitteln, indem er sein Gegenüber ausdruckslos ansah.
»Okay«, sagte Sauer, nahm die Füße herunter und stützte die Ellenbogen auf Zorns Schreibtisch, »ich versuche es so zu erklären, dass sogar du es verstehen solltest. Du gehst mir erstens aus dem Weg, du hältst dich zweitens nicht an meine Anweisungen, du hast drittens so gut wie keine Ergebnisse vorzuweisen. Jemand, der so schlampig arbeitet wie du, sollte wenigstens so tun, als ob er einen Plan hat, meinst du nicht auch?«
Er hasst mich, dachte Zorn. Und er hält mich für eine Niete. Warum hat er ausgerechnet mir diesen Fall übergeben, wenn er ihm offensichtlich so wichtig ist?
Sauer ging um den Tisch und baute sich direkt vor Zorn auf. »Ab jetzt werden sämtliche Ergebnisse der Spurensicherung zuerst an mich übermittelt. Und ich will alles, aber auch alles, was ihr in den letzten vier Tagen in dieser Ermittlung unternommen habt, fein säuberlich dokumentiert auf meinem Schreibtisch sehen. Heute haben wir Freitag.« Sauer warf einen Blick auf seine Breitling. »Es ist jetzt halb zwölf. Montag früh erwarte ich deinen Bericht. Damit meine ich jeden einzelnen Furz, den du gelassen hast. Ansonsten brennt dein Arsch, Claudius. Lichterloh. Und nicht nur deiner, sondern auch der dicke Hintern deines verschnarchten sogenannten Assistenten. Glaub mir, ich meine das ernst.« Während der letzten Worte hatte sich Sauer bis auf wenige Zentimeter genähert.
O Gott, dachte Zorn und hielt Sauers Blick stand. Er zupft sich die Augenbrauen. Kann ein Mann noch tiefer sinken?
»War das deutlich genug? Herr Hauptkommissar?«
Jetzt blieb Zorn nichts anderes übrig, als zu bejahen, was einer Kapitulationserklärung gleichgekommen wäre. Doch die Schmach blieb ihm erspart, denn es klopfte kurz, und der Kopf des dicken Schröder erschien in der Tür.
»Chef, ich habe …«, setzte er an. Der ungewohnte Anblick des Staatsanwalts verschlug selbst Schröder die Sprache.
»Raus!«, sagte Sauer, den Blick unverwandt auf Zorn gerichtet.
Wortlos schickte sich Schröder an, auf dem Absatz kehrtzumachen.
»Du bleibst«, sagte Zorn, »der Herr Staatsanwalt und ich sind jetzt fertig.«
»Sind wir das?«
»Kollege Schröder wird einen ausführlichen Bericht verfassen«, erwiderte Zorn.
»Hä?«, machte Schröder.
»Montag früh«, sagte Sauer und stolzierte von dannen.
»Was war jetzt bitte das?«, fragte Schröder und schloss die Tür.
»Das, mein lieber Schröder, war eine Kriegserklärung.« Zorn setzte sich auf seinen Platz. Stand allerdings sofort wieder auf, als er die unangenehme Wärme spürte, die Sauers Hinterteil in seinem Sessel hinterlassen hatte. »Beziehungsweise die Ankündigung, dass mir demnächst der Arsch aufgerissen wird.« Zorn lehnte sich an seinen Schreibtisch. »Dir übrigens auch.«
»Ach«, sagte Schröder und fasste sich unwillkürlich an den Po.
»Egal, jetzt erzähl mir, was mit der Leiche ist.«
»Da wäre noch was, Chef …«
»Die
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