Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
Vom Netzwerk:
weiterhelfen, Dinge, die in keiner Akte stehen, sondern Erkenntnisse, die irgendwann aus heiterem Himmel kommen, wenn niemand damit rechnet.
    Es gab unzählige Fernsehserien, in denen Ermittler, die wahlweise klug, hässlich, alkoholkrank, übersinnlich begabt, schwul oder in Ausnahmefällen auch ein Schäferhund waren, irgendwann an einen Punkt kamen, an dem es anscheinend nicht mehr weiterging. Doch dann – meist fünf Minuten vor Schluss – hatten sie alle den entscheidenden Geistesblitz. Oft kam auch der Zufall ins Spiel, doch im Endeffekt lief es immer auf eines hinaus: Columbo macht eine halbe Drehung, fasst sich elegant an die Schläfe, schielt in die Kamera und sagt, er habe da »noch eine kurze Frage«, Kommissar Rex bellt im entscheidenden Moment, Schimanski sagt »Scheiße«, verhaftet den Täter, Dirty Harry zückt den Colt und jagt dem Bösewicht sechs Kugeln ins Gesicht. Alle hatten sie irgendwann die richtige Eingebung und wussten, was zu tun war. Weil sie über eines verfügten: Intuition.
    Das, überlegte Zorn, kann ich doch wohl auch, schloss die Augen und wartete ein paar Sekunden. Roch die abgestandene Luft, spürte, wie die feuchte Kälte an den Beinen emporkroch und lauschte in sich hinein, während er gleichzeitig auf das horchte, was von außen an ihn heran drang. Irgendwo draußen brummte ein Generator, von Ferne vernahm er das Rauschen der Schnellstraße, eine Frau hastete auf stöckelnden Absätzen vorüber.
    Er atmete tief ein.
    Und wieder aus.
    Jetzt könnte sie eigentlich langsam kommen, die Intuition, fand er und unterdrückte ein Gähnen. Der Raum müsste zu mir sprechen, wenigstens eine
klitzekleine
Ahnung sollte mir doch zufliegen von dem, was sich hier abgespielt hat.
    Zorn wartete geduldig. Irgendwo musste ein Wasserrohr defekt sein, er vernahm ein stetiges Tropfen. Draußen, direkt vor dem Kellerfenster, stritten jetzt zwei Kinder, vielleicht um einen Ball oder eine Zigarette.
    Ansonsten: Nichts.
    Er wandte sich nach innen, blendete die Geräusche aus, konzentrierte sich, dachte an nichts, leerte sein Inneres und dann … ja, dann kam das Gefühl, dass da etwas war, ein feiner Kitzel, der sich näherte, ein leichtes Kribbeln erst, das stärker wurde, immer stärker, er öffnete die Augen, ein grelles Licht zerstob in seinem Kopf, und Claudius Zorns Warten auf die Erkenntnis mündete in einem enttäuschenden, schnöden Niesen, das eine Ladung erstklassiger Zornscher DNA im Raum verteilte.
    »Esoterischer Schwachsinn«, murmelte er schniefend, »solange ich keine Leiche habe, komme ich nicht weiter.«
    »Like a virgin! Touched for the very first time!«
    Ich muss diesen Scheißklingelton ändern, dachte Zorn, wischte sich die Hand in Ermangelung eines Taschentuches an der Hinterseite seiner Jeans ab und meldete sich.
    »Wir haben sie«, sagte Schröder.
    »Gut«, erwiderte Zorn. »Sehr gut.«
    *
    Als Claudius Zorn zehn Minuten später das Polizeigebäude betrat, hätte man meinen können, er wirke ein wenig anders als sonst. Nicht wegen der unübersehbaren Rotzspuren an seiner Hose, nein, er lief schneller als gewöhnlich, die Schultern gestrafft, und es sah fast so aus, als wolle er so schnell wie möglich an seine Arbeit.
    Dieser Anflug von Enthusiasmus – wenn man es denn so nennen wollte – bekam einen harschen Dämpfer, denn in seinem Büro wurde er von Staatsanwalt Sauer erwartet, der gemütlich zurückgelehnt auf Zorns angestammtem Platz lümmelte, die Beine sorgfältig auf dem Schreibtisch drapiert. Ein süßlicher Duft nach Giorgio Armani wehte Zorn entgegen.
    Jetzt wird’s ernst, dachte Zorn, hierhin hat er sich noch nie verirrt. Er kannte Sauer als zwar unsympathischen, aber trotzdem stets korrekten Menschen, jedenfalls, was die Umgangsformen betraf. Er warf einen ungläubigen Blick auf die perfekt polierten Slipper des Staatsanwalts.
    »Ich habe mir erlaubt, das Fenster ein wenig zu öffnen«, sagte Sauer und präsentierte sein gepflegtes Gebiss. »Irgendwie riecht es hier …«
    »… nach billigem Parfum? Das ist mir auch aufgefallen, als ich reingekommen bin.«
    »Nein. Es riecht nach Versager. Und irgendwie nach«, Sauer schnüffelte demonstrativ, »schlechtem Tabak. Komisch, wo wir doch beide wissen, dass im gesamten Präsidium Rauchverbot herrscht, oder?«
    Zorns anfängliche Irritation wich einer unbestimmten, langsam überkochenden Wut. Er wusste, dass es nicht gut war, Sauer zum Feind zu haben, einen Mann, der ungleich mehr Einfluss hatte als er

Weitere Kostenlose Bücher