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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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war jetzt, die Leiche zu identifizieren, und das, da war Zorn sicher, würde Schröder im Handumdrehen erledigt haben. Unter normalen Umständen hätte er damit sicher richtiggelegen.
    *
    Als Claudius Zorn ein paar Stunden später das Präsidium verließ, hatte der, den alle suchten, einen Entschluss gefasst. Das bisher Geschehene sollte erst der Anfang gewesen sein. Er hatte seine Pläne geändert.

Sechs
    Claudius Zorn kannte viele Frauen, und da waren einige, die eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hatten. Ja, es gab sogar eine Zeit, in der er so etwas wie eine feste Beziehung geführt hatte.
    Zorn war Anfang zwanzig, als er sie kennenlernte. Er hatte sich überreden lassen, bei der Geburtstagsfeier eines Kommilitonen Platten aufzulegen. Sie hieß Jana, war Volontärin bei einem privaten Radiosender, kam morgens gegen halb zwei an sein Mischpult und bat ihn, doch etwas von Michael Jackson aufzulegen. Als sie ihn anlächelte, entblößte sie eine winzige Lücke zwischen den Schneidezähnen, und obwohl sie ihm gefiel – oder vielleicht gerade deshalb – erwiderte Zorn, er werde sich eher den rechten Arm abhacken, als diese schwule Scheiße zu spielen. Stattdessen startete er einen Titel der Dire Straits, worauf ihm das letzte verbliebene Pärchen einen Vogel zeigte und müde von der Tanzfläche schlurfte.
    Eine Stunde später fragte sie ihn, ob er im Bett ebenso unbeholfen sei wie am Mischpult, eine Woche danach gab sie ihm ihren Wohnungsschlüssel, und einen weiteren Monat später zogen sie zusammen.
    Die ersten Jahre liefen hervorragend. Sie redete gern und für Zorns Begriffe ein wenig viel, er nahm die stundenlangen Gespräche gern in Kauf, da er für sein verständnisvolles Zuhören meist mit ausnehmend gutem Sex belohnt wurde.
    Jana machte Karriere beim Radio. Anfangs wurde sie Redakteurin der Abendsendung, übernahm später den Vormittag, um schließlich in der Königsklasse zu landen: Sie wurde Moderatorin der Morgenshow, die den sinnigen Namen
Jana und die Morgenboys
erhielt. Letztere waren Nachrichtensprecher Robert (Spitzname:
News-Robbie
) und
Wettermän
Klaus, die sich gemeinsam mit Jana jeden Tag von fünf bis zehn mit schalen Witzchen durch den frühen Vormittag kicherten. Zorn fand die Sendung fürchterlich, aber sie brachte Quote, und Jana verdiente schon bald doppelt so viel wie er.
    Jana, die jetzt täglich gegen drei Uhr früh die Wohnung verließ, um sich fünf Stunden lang gutgelaunt die Seele aus dem Leib zu reden, wurde Zorn gegenüber mit der Zeit schweigsamer, und auch die gemeinsamen nächtlichen Aktivitäten gerieten mehr und mehr zur unspektakulären Pflichtübung. Ersteres war ihm natürlich recht, Letzteres nahm er hin, da es in seinen Augen der Preis für ein zwar gleichförmiges, aber ruhiges, nicht unangenehmes Leben war. Er mochte Jana und war gern mit ihr zusammen, genauso gut allerdings fühlte er sich, wenn er allein war und seine Platten sortierte.
    Zorn wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass Jana unzufrieden sein könnte. Sie hatten keinen Logenplatz im Leben, sie saßen aber auch nicht auf den billigen Plätzen, und einiges deutete darauf hin, dass sie mit der Zeit noch einige Reihen nach vorn rücken würden. Und so fiel Zorn aus allen Wolken, als Jana ihm an einem sonnigen Samstagmorgen im Juli beim Frühstück eröffnete, dass sie seit vier Monaten ein Verhältnis habe.
    »Wer ist es?«, fragte Zorn und rührte sorgfältig in seiner Kaffeetasse.
    »Robert.«
    »
News-Robbie
?« Er warf den Löffel auf den Tisch. Bereits mit Ende zwanzig war ihm die Kontrolle über seine Gefühle wichtig, doch in diesem Moment, als der Blitz in Gestalt eines Nachrichtensprechers in das geordnete Leben des Claudius Zorn fuhr, war es mit der Selbstbeherrschung vorbei.
    »Diese geölte Pfeife?«, rief er und schnappte nach Luft. »Jana, wie kannst du mit jemandem vögeln, der den ganzen Tag vom ›besten Verkehr‹ schwafelt und erwachsenen Menschen ernsthaft weismachen will, dass er sie täglich ›fünf Minuten früher informiert‹?«
    »Ich erzähle seit sechs Jahren genau dieselbe Scheiße«, sagte sie leise, »und weißt du was? Es macht mir Spaß. Ich gehe gern auf Arbeit, im Gegensatz zu dir.«
    Zorn lachte auf. »Bläst du ihm einen, wenn du die nächsten drei Hits am Stück angesagt hast?«
    »Ich glaube nicht, dass dich das aufweckt, aber ich versuch’s trotzdem«, sagte sie, beugte sich über den Tisch und schlug ihm mit voller Kraft ins Gesicht. »Du wirst

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