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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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niemals über deinen kleinen, dreckigen Tellerrand blicken, Claudius. Du wirst nie kapieren, dass es Wichtigeres gibt als einen Spießer wie dich. Wir haben jahrelang zusammengelebt, und du hast keine Sekunde geschnallt, dass ich mehr von dir will, als einmal pro Woche ins Kino zu gehen und danach gevögelt zu werden.«
    Zorn traten die Tränen in die Augen. Nicht vor Schmerz, sondern vor Wut. Sie sah ihn ruhig, fast mitleidig an. »Diese ölige Pfeife, wie du ihn nennst, ist tausendmal witziger, intelligenter und unterhaltsamer als du. Und er ist eine Granate im Bett. Ich bin gern mit ihm zusammen, und ich will, dass du ausziehst.« Und bevor Zorn etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: »Sofort, du selbstverliebter, arroganter Beamtenpisser.«
    Drei Tage danach saß Zorn mit einem Bier in einem kleinen Motelzimmer in der Nähe des Bahnhofs. Er hatte geflucht, getobt, er hatte nicht schlafen können. Ja, er hatte sogar geweint und seinen Frust abwechselnd mit Rotwein und Jim Beam bekämpft. Als er sich nun verkatert und übernächtigt umsah, stellte er überrascht fest, dass ihm nichts fehlte. Diese Erkenntnis traf ihn völlig unvorbereitet, denn jetzt wurde ihm klar, dass seine Verlorenheit und Trauer nichts anderes gewesen waren als verletzte Eitelkeit, und nur der Gedanke, dass es jemanden gab, der ihm, Zorn, vorgezogen wurde, hatte ihn so aus der Bahn geworfen. Er vermisste Jana nicht, wahrscheinlich hatte er sie nie geliebt, und jetzt, da er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass es in seinem Leben so etwas wie Liebe wohl niemals geben würde. Auch das war eine Tatsache, die ihn nicht sonderlich schockierte. Liebe war nichts Greifbares, ein undefinierbares, rauchiges Etwas, dem er von nun an erst recht aus dem Weg gehen würde. Selbst das, was er für Jana empfunden hatte (Sympathie? Freundschaft?) hatte ihn angreifbar gemacht. Was wäre geschehen, wenn da etwas anderes, Größeres gewesen wäre, etwas wie Liebe?
    Später, als er dann endlich seine Wohnung hatte und allein war, hoch über der Stadt, überlegte er manchmal, dass alles hätte anders kommen können. Dass er ihr eigentlich dankbar sein musste. Was ihn betraf, hätten sie wohl bis zu seiner Pensionierung zusammengelebt, vielleicht auch länger, bevor ihm irgendwann klargeworden wäre, dass da etwas fehlte.
    Zugegeben hätte Claudius Zorn das allerdings niemals, und weil er ein nachtragender Mensch war, hatte er jeglichen Kontakt zu Jana abgebrochen. Und auch mehr als zehn Jahre später verspürte er den Drang, das Radio zu zertrümmern, wenn er sie zufällig moderieren hörte. Zumindest in dieser Hinsicht war er konsequent.
    Aber er war ein halbwegs zufriedener Mann, der in seinem Turm lebte und außer einer erfüllenden Arbeit nicht viel vermisste. Er verdiente gut, er hatte seine Platten, und wenn ihn die Hormone in seiner Ruhe störten, war da immer jemand, den er abends anrufen und zum Essen einladen konnte. Frauen mochten ihn, er wusste das. Und er war charmant und clever genug, diese Abende so zu steuern, dass er die Nacht nicht allein verbringen musste.
    *
    Als Zorn an diesem Freitag gegen halb sechs seine Wohnung aufschloss, hätte er fast den wattierten Briefumschlag übersehen, der an der Wand neben der Tür lehnte. Er hob ihn auf, setzte sich an seinen Küchentisch und drehte das Kuvert hin und her.
    Kontrolle ist besser, für das nächste Mal. Gruß M.
    Diese zwei Zeilen waren mit rotem Filzstift geschrieben, und als Zorn den Umschlag öffnete, rollte ein kleiner Rasierspiegel heraus.
    Augenblicklich schoss seine Körpertemperatur um ein paar Grad nach oben. Er dachte an den peinlichen Moment im Fahrstuhl. Plötzlich hatte er den Geschmack von Zahnpasta im Mund und wischte sich unwillkürlich die Mundwinkel ab. Zorn erinnerte sich an die hellen Augen des Mädchens und registrierte verstimmt, dass ihm bei diesem Gedanken noch ein wenig wärmer wurde.
    Claudius Zorn, dachte er und betrachtete sich nachdenklich in dem kleinen Spiegel, du wirst nicht so bescheuert sein, jemanden, der mit dir unter einem Dach lebt, in deine Nähe zu lassen. »Nein, garantiert nicht«, sagte er laut, stand auf und brachte den Spiegel ins Bad, wo er ihn auf die Waschmaschine legte.
    Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen und verspürte im Moment nicht die geringste Lust, sich etwas zu kochen. So beschloss er, in der Kneipe zu essen, stellte sich unter die Dusche, und während ihm das heiße Wasser über das Gesicht lief, dachte er daran, dass die

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