Zorn - Tod und Regen
interessanter fand sie ihn. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass Sauer tatsächlich in krumme Geschäfte verwickelt sein sollte. Fähig war er ihrer Meinung nach durchaus dazu, allerdings war sie sicher, dass er niemals etwas tun würde, das seine Stellung als Staatsanwalt auch nur im Geringsten gefährden könnte.
Das Geld. Die soziale Stellung. Die Empfänge. Und die Interviews: Sie wusste, wie sehr Sauer es genoss, sein Bild in der Zeitung zu sehen oder in den Nachrichten zitiert zu werden.
Sie würde schnell herausfinden, ob Zorn recht hatte. Es war einfach. Und sie selbst, da war sie sicher, ging dabei so gut wie kein Risiko ein.
*
Der Mord in der Kantstraße.
Zu Beginn war nur die Frau im Bild. Sie saß auf dem Stuhl, gefesselt, das Gesicht in Richtung Kamera. Eine nackte Glühbirne hing von der Decke, im Hintergrund war deutlich das Kellerfenster zu erkennen.
Die Frau war wesentlich fülliger, als Zorn nach den Obduktionsbildern vermutet hätte. Sie war unbekleidet, ihr Körper glänzte und war mit einer klebrigen, dunklen Schicht überzogen, von der Zorn vermutete, dass es sich um eine Mischung aus Schweiß, Urin und teilweise bereits geronnenem Blut handeln musste.
Die Bilder waren undeutlich, und doch erkannte man, dass sie geknebelt war. Man sah ihre aufgerissenen Augen, man ahnte, dass sie weinte, sie bewegte sich, zerrte an den Fesseln, drehte den Oberkörper hin und her und versuchte, die Hüften nach vorn zu stemmen.
Nach einigen Sekunden kam von rechts jemand ins Bild, beugte sich über sie, hob den Arm, eine präzise, kurze Bewegung, ein Blitzen, dann trat die Gestalt langsam zwei Schritte zurück und war wieder aus dem Bild verschwunden. Die Frau starrte ungläubig auf ihr Handgelenk, aus dem jetzt das Blut in einer rhythmischen Fontäne zu spritzen begann. Ein paar Sekunden später erschien die Gestalt erneut. Die Frau versuchte auszuweichen, bäumte sich auf, es schien, als sage die Gestalt etwas, denn die Frau wurde ruhiger. Dann zwei weitere, schnelle Schnitte, einer quer über den Bauch, einer über den Oberschenkel.
Die Frau war jetzt schwarz von all dem Blut. Ihr Kopf sackte nach vorn.
Dann war der Film zu Ende.
Der Mord in der Kantstraße.
*
Hannah Saborowski saß hinter dem Empfangstresen, Kopfhörer auf den Ohren und tippte einen Brief an den Polizeipräsidenten, den ihr Sauer am Morgen diktiert hatte. Die Bürotür öffnete sich, der Staatsanwalt erschien und gab ihr mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, dass er seinen Mantel wolle.
»Ich bin in einer halben Stunde zurück«, erklärte Sauer und verließ das Vorzimmer, ohne ihr höfliches Lächeln zu bemerken. Was nicht verwunderlich war, da er sie wie immer keines Blickes gewürdigt hatte.
Jetzt oder nie, dachte sie und ging in sein Büro.
Hinter Sauers Schreibtisch stand ein hohes, dunkles Regal aus Mahagoni. Der Safe war zwischen den Brettern in Kopfhöhe in die Wand eingelassen, davor standen einige afrikanische Figuren und Masken.
Hannah war sicher: Wenn er tatsächlich etwas im Büro versteckte, musste es dort zu finden sein. Sie hatte nicht die geringste Angst, schließlich war sie oft in Sauers Zimmer, auch wenn er nicht da war, und falls sie tatsächlich von jemandem überrascht werden sollte, konnte sie immer noch behaupten, eine Akte oder etwas Ähnliches gesucht zu haben.
Gegenüber der Tür stand eine riesige Art-déco-Lampe, schräg dahinter hing Sauers Anwaltszulassung in einem verchromten Rahmen an der Wand. Auf der Rückseite war ein kleiner Haken befestigt, an dem der Schlüssel zum Tresor hing.
Sauer hatte keine Ahnung, dass sie schon seit Monaten wusste, wo er den Schlüssel versteckte. Sie hatte ihm damals seinen Tee gebracht und gesehen, wie er sich hinter dem Bild zu schaffen machte. Ein paar Tage später, als ihr Chef auf einer Pressekonferenz war, hatte sie die Gelegenheit genutzt und den Schlüssel entdeckt.
Sie ging über den dicken Teppich zum Tresor, den sie im Handumdrehen geöffnet hatte. Dann sah sie hinein.
Bingo, murmelte sie kurz darauf. Ich hätte es nicht gedacht, aber ich glaube, jetzt hast du ein Problem, Herr Staatsanwalt.
*
»Scheiße«, sagte Zorn und rieb sich das Gesicht. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
Ein paar Sekunden saßen sie schweigend vor Zorns Rechner.
»Soll ich’s noch mal abspielen?«, fragte Schröder dann.
»Nein«, sagte Zorn schnell und hob die Hände. »Das reicht.«
»Okay, was machen wir, Chef?«
Zorn überlegte. »Jetzt
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