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Zorn und Zärtlichkeit

Zorn und Zärtlichkeit

Titel: Zorn und Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Lindsey
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verlassen hatte. Sheenas wegen hatte er in der letzten Nacht kein Verlangen nach Jessie verspürt, ihretwegen hatte er stundenlang wach gelegen, sich grenzenlos einsam gefühlt und überlegt, was, zum Teufel, er getan hatte, um ihr solche Angst einzujagen.
    Er wünschte sich ebenso wie sein Bruder, dass sie weiterhin im Schloss wohnte. Irgendwie musste er sie dazu bringen. Natürlich könnte er sie zwingen. Doch dafür würde sie ihn hassen, und er erkannte zu seiner eigenen Überraschung, welch großen Wert er auf ihr Wohlwollen legte.
    Immer wieder schaute er zum Ende der Halle, zum Torbogen, der zur Treppe führte. Wo blieb sie nur? Er war sicher gewesen, dass sie mit ihm sprechen wollte, um herauszufinden, was er mit ihr vorhatte. Seufzend runzelte er die Stirn. Nachdem Colen sie entführt hatte, konnte sie mit Fug und Recht fordern, sofort nach Aberdeen zurückgebracht zu werden.
    Allmählich kam er sich lächerlich vor. Da saß er und wusste ganz genau, dass sich seine Männer und Dienstboten darüber wunderten. Endlich machte sich das Warten bezahlt. Colen tauchte am Ende der Halle auf, hinter ihm flatterte ein grüner Rock, und dann kam Sheena in Sicht. Ihr Anblick beschleunigte Jamies Pulsschlag. Colen hielt ihre Hand fest und schien sie mit sich zu zerren, aber nur mit sanfter Gewalt. Sie sah sich um, und Jamie war plötzlich stolz auf seine kostbar ausgestattete Halle, betrachtete sie mit den Augen eines Fremden. Die holzgetäfelten Wände, die bemalten Deckenbohlen stellten einen Luxus dar, der in Turmhäusern üblich war, aber nicht in Schlössern. An den hinteren Tischen standen Polsterbänke, an der Tafel des Lairds englische, mit Damast bezogene Stühle. Holländisches Leinen bedeckte die Tischplatte aus rohem Holz. Darauf stand Silber-und Zinngeschirr. Auf dem Steinboden lag sogar ein dicker persischer Teppich, und vor dem großen Kamin, wo Jamie mit Vorliebe seine Abende zubrachte, gruppierten sich mehrere Lehnstühle. Im großen und ganzen wirkte die Halle sehr eindrucksvoll, und darüber freute er sich in diesem Augenblick mehr denn je.
    Doch sein Vergnügen war nur von kurzer Dauer, denn als Sheena ihn erblickte, blieb sie abrupt stehen, entzog Colen ihre Hand und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war. Der Junge folgte ihr auf dem Fuß, hielt sie am Arm fest, und sie begannen mit gedämpften Stimmen zu diskutieren. Colen versuchte wieder nach ihrer Hand zu greifen, aber sie stieß ihn von sich und rief so laut, dass es alle hören konnten: »Nein!«
    Jamie ahnte nur zu gut, wie verlegen sein Bruder jetzt war, wo er ebenso wie das Mädchen die Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesender erregt hatte. Grabesstille erfüllte die Halle, was Jamie nicht weiter verwunderte, weil Sheenas Schönheit allen Leuten den Atem raubte.
    Sie schien die staunenden, interessierten Blicke nicht zu bemerken, nutzte Colens Unbehagen und eilte zum nächstbesten Tisch. Dort setzte sie sich und begann zu essen, was vom Frühstück irgendwelcher Vorgänger übriggeblieben war.
    Ärgerlich stieg Colen die Stufen des Podests hinauf, wo der Tisch des Lairds stand, und nahm neben seinem Bruder Platz.
    Mißmutig starrte er vor sich hin. Die Frühstückstafel des Lairds war noch gedeckt, aber der Junge rührte nichts von den reichhaltigen Speisen an. Zögernd wurden die unterbrochenen Gespräche wieder aufgenommen. Colen hüllte sich weiterhin in Schweigen.
    Schließlich seufzte Jamie tief auf. »Willst du mir nicht sagen, was das zu bedeuten hat?«
    »Sie glaubt, dass ich sie belogen habe.« Colen wich dem Blick seines Bruders aus.
    »Und? Hast du das getan?«
    »Nein.«
    »Aber sie glaubt dir nicht?«
    »Wie könnte sie - wenn du hier bist?«
    »Was habe ich denn damit zu tun?«
    Colen gab keine Antwort und brachte es offenbar noch immer nicht fertig, in Jamies Augen zu schauen. Dessen Neugier wuchs.
    »Also? Was ist los?«
    »Nun ja - sie wollte nicht mit mir herunterkommen, bevor ich ihr versichert hatte, dass du nicht hier sein würdest. Sie hatte sich im Südturm eingeschlossen und weigerte sich, die Tür zu öffnen, bis ich...«
    Jamie runzelte die Stirn. »Du hast sie in den Südturm gebracht?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    Endlich wandte sich Colen seinem Bruder zu, und seine Augen, braun wie die seines Bruders, verdunkelten sich. »Deine Gedankengänge mißfallen mir. Ich habe dir doch gesagt, ich hätte das Mädchen nicht angerührt. Und das werde ich auch nicht tun, ehe sie meine Frau ist. Ob sie noch Jungfrau ist, weiß

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