Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
den Hinweis auf eine je eigene regionale Kapitalisierung und eine dem in spezifischer Weise entsprechende Bankformation enthält.)
Die Volkswirtschaftslehre definiert eine Bank als eine Kapitalsammelstelle. Deren Hauptaufgabe besteht darin, die Guthaben ihrer Klienten im Sinn der Werterhaltung und Wertvermehrung zu verwalten. In praktischer Hinsicht heißt dies, daß Kundeneinlagen, die im Augenblick ihrer Einzahlung unfruchtbare Geldschätze sind, sich umgehend in Kapitale verwandeln und folgerichtig in gewinnorientierte Geschäfte investiert werden. Es gehört zu den wichtigsten Funktionen einer Bank, als Risikopuffer zu wirken, der die Klienten an Investitionserfolgen teilnehmen läßt, während er sie von Mißerfolgen nach Möglichkeit bewahrt. Dieses Arrangement wird durch den Zins gesteuert, welcher der Natur der Sache gemäß um so niedriger ausfällt, je höher der Grad der Risikoausschaltung sein soll. 41
In unserem Kontext ist nun zu beachten, daß das Zeitprofil des Geldes durch den Übergang von der Schatzform zur Kapitalform entscheidend modifiziert wird. Der einfache Schatz steht noch ganz im Dienst der Wert(auf)bewahrung.Indem er die materiellen Ergebnisse vergangener Ernten und Plünderungen beisammenhält, besitzt er eine rein konservative Funktion (um für den Augenblick von den imaginären Eigenwerten der Schatzbildung nicht zu reden). Er negiert die ablaufende Zeit, um das angesammelte Gut in einer permanenten Gegenwart zu verankern. Wer vor einer Schatztruhe steht oder eine Schatzkammer betritt, erfährt im vollen Sinn des Wortes, was Anwesenheit bedeutet. Die vom präsenten Schatz gestiftete Zeitform ist dementsprechend die vom Vergangenen gestützte Dauer als das ständige Dableiben des Angesammelten – mit der erhabenen Langeweile als erlebtem Reflex.
Im Gegensatz hierzu ist dem Kapital das langweilige Glück der gesammelten Anwesenheit bei sich fremd. Seiner bewegten Seinsweise wegen ist es zur ständigen Entäußerung verurteilt; es kann sich nur episodisch, etwa an Bilanzterminen, als virtuell präsente Summe vorstellen. Ständig auf Selbstverwertungstour unterwegs, befindet es sich zu keinem Zeitpunkt im Vollbesitz seiner selbst. Daraus folgt, daß es wesensmäßig »futuristische« Effekte zeitigt. Es erzeugt eine chronische Vorspannung ins Kommende, die sich auf jedem erreichten Niveau als erneuerte Gewinnerwartung artikuliert. Seine Zeitform ist die kurzweilige Akkumulationsperiode, die sich als Dauerkrise vollzieht. Daher vollbringt allein die Kapitaldynamik die Leistung, die Trotzki, dank einer willkommenen Konfusion der Begriffe, einer revolutionären politischen Führung anvertrauen wollte: Die »permanente Revolution« beschreibt genau den modus vivendi des Kapitals, nicht das Gebaren eines Kaders. Stets für den erweiterten Fortgang seiner eigenen Bewegung zu sorgen ist seine wirkliche Mission. Es weiß sich dazu berufen, alle Verhältnisse umzustürzen, unter denen sich Verwertungshindernisse aus Brauch, Sitte und Gesetzgebung seinem Siegeszug in den Weg stellen. Daher: Kein Kapitalismus ohne die triumphale Ausbreitung jener Respektlosigkeit, der Zeitkritikerseit dem 19. Jahrhundert den scheinphilosophischen Namen Nihilismus gaben. In Wahrheit ist der Kult des Nichts bloß die unvermeidliche Nebenwirkung des Geldmonotheismus, für den alle anderen Werte bloße Götzen und Trugbilder darstellen. (Im übrigen ist auch dessen Theologie trinitarisch zu entwickeln, weil zum Vater »Geld« der Sohn »Erfolg« und der Heilige Geist »Prominenz« hinzukommen.) Der kapitalistischen Logik gemäß fällt den Banken die Schlüsselrolle bei der Schaffung allseitig geldbestimmter Verhältnisse zu, weil nur diese Agenturen der permanenten produktiven Unruhe imstande sind, die effektive Sammlung und Lenkung der Geldströme durchzuführen.
Die Idee der Sammelstelle als solcher ist selbstverständlich sehr viel älter als die der Bank, die bekanntlich erst seit der italienischen Frührenaissance ihre bis heute erkennbaren Umrisse annahm. Sie reicht bis in die Ära der sogenannten neolithischen Revolution zurück, als sich mit dem Übergang zum Getreideanbau zugleich die Praxis der Vorratshaltung entwickelte. An diese knüpft sich ein langes Gefolge technischer und mentaler Innovationen, welche ebenso die Errichtung von Speicherhäusern wie die Einübung des Haushaltens mit knappen Lagerressourcen einschließen (die Erfindung des Eroberungskriegs als zweiter Ernte durch Zugriff auf die
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