Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
man die Anhänger Bakunins nicht selten mit den Jesuiten verglich. Da dem Bakuninismus ein ausschließlich destruktiver Revolutionsauftrag vorgezeichnet war, konnten seine Programmschriften die hintergründige Gleichsetzung von Anarchistenbund und krimineller Vereinigung tolerieren. Als Mitglieder einer Kirche der reinen Zerstörung waren Bakunins Adepten von den Aufgaben der sozialen Rekonstruktion entbunden.
Ganz anders stellte sich die Situation für die Kommunisten dar, die sich zum Glauben an die unzertrennliche prozessuale Einheit von Umsturz und Neuerrichtung bekannten. Da es ihnen um die Eroberung der Staatsmacht ging, waren für sie die anarchistischen Zugeständnisse an die Romantik der Kriminalität und der gesetzlosen Gegenkultur unannehmbar. Auch nach der Übernahme durch kommunistische Funktionäre würde die Staatsmacht unweigerlich ausgeprägt etatistische Merkmale behalten – diese Tatsache schloß das Paradigma der noblen Räuberbande oder des kriminellen Ordens für den kommunistischen Ansatz aus. Die Kämpfer der Leninschen Tendenz verlangten nach einem Organisationsmodell, das imstande wäre, den Anforderungen an eine Langzeitpolitik der Umwälzung von oben her zu genügen. Nach Lage der Dinge ließ sich dergleichen nur bei den erfolgreichsten Einrichtungen der bürgerlichhalbfeudalen Gesellschaft ablesen: bei der Armee, von der man das Konzept der Befehlshierarchie übernehmen würde, um von ihm die strengste Parteidisziplin abzuleiten, sowie bei der modernen Verwaltungsbürokratie, die mit ihrer quasi-automatischen, selbstlosen Effizienz ein suggestives Muster für den sozialistischen Parteiapparat abgeben sollte. Über Lenins Bewunderung für die Organisation der deutschen Reichspost ist oft genug geschrieben worden. Wer sich in die historischen Quellen und Bestandteile des realsozialistischen Philistertums vertiefen möchte, wird beiden Subordinationsmaschinen des deutschen Obrigkeitsstaates um 1900 fündig. Lenin selbst hat nie ein Geheimnis aus seiner Überzeugung gemacht, die Organisation der russischen »Protestpotentiale« müsse den Wegen folgen, die vom Staatskapitalismus der Deutschen und von der straffen Lenkung der preußischen Kriegsindustrie ab 1914 gewiesen wurden.
Die Modellwirkung von spätfeudalen und bürgerlichen Armee- und Verwaltungsformen für die leninistische Parteibildung ist nie ernsthaft geleugnet worden. Rosa Luxemburg war daher nicht im Unrecht, als sie schon früh vor Lenins germanophiler Vorliebe für den »Ultrazentralismus« warnte. Jedoch wird mit dem Rekurs auf solche Vorbilder das epochal Neue am organisierten Kommunismus eher verdeckt als erläutert. Dessen Eigenart tritt – wie schon bemerkt – erst in ein adäquates Licht, sobald man in ihm, seinem effektiven Design nach, eher ein Bankunternehmen als eine militärische oder bürokratische Größe erkennt. Um diese nur scheinbare Paradoxie aufzulösen, muß man sich von dem Vorurteil befreien, Banken tätigten ausschließlich Geldgeschäfte. In Wahrheit deckt die Bankfunktion einen sehr viel breiteren Phänomenbereich ab als den der monetären Transaktionen. Bankanaloge Prozesse treten überall dort in Erscheinung, wo kulturelle und psychopolitische Entitäten – wie wissenschaftliche Erkenntnisse, Glaubensakte, Kunstwerke, politische Protestregungen und anderes – sich anhäufen, um von einem gewissen Akkumulationsgrad an von der Schatzform zur Kapitalform überzugehen. Konzediert man die Existenz eines nicht-monetären Bankwesens, so leuchtet die Beobachtung ein, daß Banken eines anderen Typs, als politische Affektsammelstellen aufgefaßt, ebenso mit dem Zorn der Anderen wirtschaften können, wie Geldbanken mit dem Geld der Kunden arbeiten. Indem sie dies tun, entlasten sie ihre Klienten von der Verlegenheit der Eigeninitiative und stellen gleichwohl Gewinne in Aussicht, und was im einenFall die monetären Kapitalerträge bedeuten, sind im anderen die thymotischen Prämien.
Solche Banken präsentieren sich in der Regel als politische Parteien oder Bewegungen, namentlich auf dem linken Flügel des politischen Spektrums. Die Umwandlung von zornigen Regungen in »konstruktive Politik« darf dabei in jedem Lager als das magnum opus der Psychopolitik gelten. (Im übrigen ist die Vermutung zu wagen, daß die von Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme herausgestellte funktionale Ausdifferenzierung in Subsysteme wie Recht, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Gesundheitswesen, Religion, Pädagogik usw.
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