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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Aug’ ihm Sand.
    Martha öffnet die Augen.
    Schlafe, schlafe, schlaf ein mein Kindelein.
    Sie ist wach.
    *
    »Schröder hier. Entschuldigen Sie den späten Anruf, Frau Staatsanwältin. Ich hoffe, ich störe nicht.«
    »Ganz und gar nicht. Was gibt’s?«
    »Wir brauchen einen Durchsuchungsbefehl.«
    »Jetzt? Mitten in der Nacht?«
    Es dauerte drei Minuten, bis Schröder die Lage dargelegt hatte. Frieda Borck hörte schweigend zu. »Ich bin in einer halben Stunde im Präsidium«, entschied sie dann. »Stellen Sie schon mal ein Team zusammen. Ich nehme an, Sie übernehmen die Leitung?«
    »Allerdings.«
    »Die Spurensicherung wird nicht begeistert sein.«
    »Das ist hier niemand, Frau Borck. Aber wir müssen schnell handeln.«
    »Sie erlauben, dass ich noch kurz unter die Dusche hüpfe?«
    »Selbstverständlich«, bestätigte Schröder höflich und legte auf.
    *
    Peter Brandt zitterte vor Wut. Er fühlte sich ungerecht behandelt, machtlos der Willkür anderer ausgesetzt. Es war wie damals, als er seinen Job als Lehrer verloren hatte. Er konnte sich noch genau an dieses Gefühl erinnern, die Ohnmacht, als er das Kündigungsschreiben der Schulbehörde in den Händen hielt.
    Die Hilflosigkeit. Die Angst. Und den Hass.
    Schon damals hatte ihm das Trinken geholfen. Zunächst war es Rotwein, erst eine, dann zwei Flaschen täglich. Niemand hatte etwas bemerkt, er war klug genug, immer pünktlich, gewaschen und rasiert zum Dienst in der Bibliothek zu erscheinen. Auch später, als der Rotwein nicht mehr reichte, als er erst zu französischem Wermut und dann zu Wodka überging, war er vorsichtig, nahm Kaugummi und achtete darauf, einen bestimmten Pegel nicht zu überschreiten. Peter Brandt war ein kluger Alkoholiker, der kaum mit anderen Menschen in Berührung kam, und wenn dies doch der Fall war, konnte er wenigstens so tun, als ob er nüchtern wäre. In diesem Punkt war er Profi.
    Er hatte sich immer unter Kontrolle gehabt. Bisher jedenfalls.
    Der Fernseher lief, irgendeine Talkshow, er setzte sich aufs Sofa und versuchte sich zu konzentrieren. Nach zwei Minuten sprang er auf und schaltete das Gerät ab. Ein Stuhl war umgekippt, das Einsatzkommando hatte ihn einfach liegenlassen. Er hob ihn auf und stellte ihn mit einem Knall in die Ecke.
    »Ihr Schweine, das lass ich nicht mit mir machen.«
    Er nahm die Brille ab und wischte sich die tränenden Augen. Seine Hände zitterten, er klemmte sie unter die Achseln und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen.
    »Nein«, flüsterte er, »das lass ich mir nicht gefallen.«
    Brandt blieb stehen und überlegte. Es war sinnlos, wenn er sich aufregte, das wusste er selbst. Die alte Standuhr neben dem Fernsehtisch schlug zweimal, es war halb zwölf. Eigentlich hatte er genug getrunken. Die Flasche, die er sich für heute zugeteilt hatte, war leer.
    Aber es gab ja einen besonderen Anlass.
    »Was soll’s«, murmelte der Bibliothekar und ging zur Anbauwand. Er hatte stets vier Flaschen Wodka im Haus, mindestens. Zwei waren im Keller versteckt, zwei standen in einer verspiegelten Minibar, in der er auch seine Gläser aufbewahrte. Die Flaschen standen hinten in der Ecke. Beide waren voll.
    Es knirschte, als er den Verschluss aufschraubte.
    Der erste Schluck brannte, er liebte das heiße Gefühl, die Wärme, die sich in seinem Magen ausbreitete. Der Bibliothekar stand da, die Flasche in der Linken, die rechte Hand hob er dicht vor die Augen. Das Zittern ließ nach. Gut.
    Er betrachtete sein Spiegelbild in der Minibar.
    »Es ist zwar noch eine halbe Stunde Zeit, aber …«
    Wieder nahm er einen Schluck, dann prostete er sich im Spiegel zu.
    »Alles Gute zum Geburtstag.«
    Noch ein Schluck. Jetzt war es besser.
    Peter Brandt setzte die Flasche an und trank.
    Nicht eine Sekunde hatte er an seinen verschwundenen Sohn gedacht.
    *
    Max fährt erschrocken hoch.
    »Mist, ich bin eingeschlafen.«
    Er sieht auf die Uhr, dann springt er auf.
    »Ich muss los.«
    Es raschelt, der Hund ist ebenfalls hochgeschreckt. Max geht zu ihm, macht die Leine los. Das Tier steht schwankend da, sieht mit triefenden Augen zu ihm auf.
    »Ich weiß, du hast Durst«, sagt Max. »Aber du musst warten.«
    Er geht zu Martha und hockt sich neben sie.
    »Es wird nicht lange dauern, versprochen.«
    Martha ist wach, aber sie reagiert nicht. Sie hat keine Ahnung, was er vorhat, es ist ihr auch egal. Es sind die Schmerzen, die sie in den Wahnsinn treiben. Mit den Augen ist es etwas besser geworden, jetzt, da sie geschlossen sind.

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