Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
kommen? Und bitte zügig, wenn es Ihnen recht ist, niemand hat gern die Polizei im Haus.«
»Das weiß ich, Frau Grooth. Sie können davon ausgehen, dass es der Polizei ähnlich geht. Was mich betrifft: Ich bin ebenfalls ungern in fremden Häusern. Eigentlich nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Er deutete mit dem Kinn auf das Sofa. »Sie sollten sich setzen.«
»Ich stehe lieber.«
»Setzen Sie sich«, wiederholte Schröder sanft. »Bitte.«
Sie nahm achselzuckend Platz. »Wenn es um Björn geht, muss ich Ihnen sagen, dass ich ihn seit gestern nicht gesehen habe, wahrscheinlich ist er …«
»Frau Grooth«, unterbrach er sie leise, »hören Sie mir zu. Ich glaube nicht, dass Sie so abgebrüht sind, wie Sie vorgeben.« Dann fügte er den Satz hinzu, der alles vorwegnahm, was nun folgen würde: »Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten für Sie.«
Die Frau fasste sich mit der Hand an die Kehle. Sie trug eine rote Korallenkette, ihre Finger verhakten sich im Verschluss. Die Kette riss, es prasselte leise, als Dutzende winzige Korallen über die Dielen rieselten und sich im Zimmer verteilten. Sie schien es nicht zu bemerken. »Ist er …?«
»Ja.«
Sie sah Schröder mit großen Augen an. Öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie wirklich begriff, dass ihr Sohn tot war. Dann gab sie einen erstickten Laut von sich. Es klang wie das Schluchzen eines Kindes, das noch nicht ins Bett will.
»Mein Gott, ich dachte, Sie hätten ihn beim Kiffen erwischt!«
»Ich wünschte, es wäre so. Es tut mir leid.«
Ihre Nase begann zu laufen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken darüber, mit zitternden, regelrecht flatternden Fingern. »Wie ist es passiert?«
»Das kann ich Ihnen noch nicht genau sagen. Es war jedenfalls kein Unfall, und wir müssen von Fremdverschulden ausgehen.« Schröder redete weiter, er wusste, dass sie im Moment kein klares Wort herausbringen würde. »Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen, Frau Grooth. Aber wenn wir herausfinden wollen, was passiert ist, brauchen wir Ihre Hilfe. Wir müssen uns mit seinen Freunden unterhalten, und ich würde gern sein Zimmer sehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Außerdem muss ich Sie bitten, Ihren Sohn so schnell wie möglich zu identifizieren, wir brauchen absolute Gewissheit.«
Ihre Augen waren trübe geworden, als hätte sich ein dünner Film über ihre Pupillen gelegt. Blicklos starrte sie Schröder an, keine drei Meter entfernt und doch meilenweit weg. Dann begann sie, an den Fingernägeln zu kauen.
Er ging einen Schritt auf sie zu. Die Korallen lagen überall verstreut, sie knirschten unter seinen Sandalen. »Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe, Frau Grooth?«
Sie schwieg. Und kaute weiter an den Fingern.
»Soll ich einen Arzt holen, oder jemanden, den Sie kennen?«
Irgendwo im Haus klingelte ein Telefon.
»Ich brauche eine neue Kette«, sagte sie. »Schade, jetzt ist sie kaputt.«
*
»Die Mutter des Jungen hatte einen Zusammenbruch, Chef. Ich musste einen Arzt rufen, sie hat eine Spritze bekommen, zwei Stunden später konnte sie wenigstens ein paar Fragen beantworten.«
Das Fenster in Zorns Büro war weit geöffnet. In einer Ecke neben der Tür ratterte ein Ventilator leise vor sich hin.
»Sie muss ihn identifizieren.«
»Ich weiß, Chef. Wir sollten ihr noch einen Tag Zeit lassen, damit sie sich wenigstens halbwegs wieder beruhigen kann.«
»Okay«, nickte Zorn. Schaudernd stellte er sich vor, wie die Frau vor ihrem Sohn stand, der mit halb abgetrenntem Kopf auf einer verchromten Bahre in der Pathologie lag. »Vielleicht können sie den Jungen bis dahin ein wenig herrichten. So, dass er nicht mehr ganz so schlimm aussieht.«
Sie schwiegen einen Moment.
»Also, was wissen wir über den Jungen?«, fragte Zorn dann.
»Er hieß Björn Grooth, vor zwei Monaten ist er achtzehn geworden. Die Familie scheint sehr wohlhabend zu sein, der Vater hat einen Baustoffhandel.«
»Wo ist er jetzt?«
»Angeblich auf einer Tagung in Amsterdam.« Schröder nahm sein Notizbuch und blätterte darin. »Der Junge hat das Thomas-Münzer-Gymnasium besucht, er wäre jetzt in die zwölfte Klasse gekommen. Die Mutter sagt, er hatte nie Probleme in der Schule, das habe ich aber noch nicht gecheckt. Das Fahrrad hat er zum Geburtstag bekommen, er ist jeden Morgen vor der Schule eine Stunde im Stadtwald gefahren, der liegt ja direkt in der Nähe der Wohnung.«
»Auch jetzt, in den
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