Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Zorn wedelte mit der Hand durch die Luft, »Gefahr in Verzug, du weißt schon. Dir wird schon was einfallen.«
Schröder nickte seufzend. »Sehr wohl, Chef.«
»Wir haben geblufft, Schröder. Wir haben ins Blaue geschossen, und wir wussten vorher, dass die Aktion in die Hose gehen könnte.«
»Immerhin hat Max Brandt die Einbrüche zugegeben. Er wollte die anderen nicht belasten, aber das sollte schnell geklärt sein.«
»Die Einbrüche sind im Moment scheißegal, Schröder. Wir können den Kids damit ein wenig Druck machen, aber im Vordergrund steht der Mord. Und da sind wir nicht viel weiter. Was denkst du über diesen Max Brandt?«
»Er hat jedenfalls kein Alibi.«
»Der Muskelprotz auch nicht.«
»Das sollten wir nicht überbewerten, Chef. Ich denke, es gibt Tausende in dieser Stadt, die an einem Donnerstag morgens um sechs allein im Bett liegen.«
Das stimmt, dachte Zorn. Ich gehöre auch dazu. Er nahm die Zigarette und drehte sie nachdenklich in der Hand. »Wir sollten abwarten, was die Vernehmung der anderen beiden ergibt.«
»Martha und Eric Haubold.«
»Ja. Vielleicht haben sie es alle zusammen getan, eine Art Abrechnung, wer weiß, was sie außer den Einbrüchen noch so getrieben haben. Wir sollten ihre Handys überwachen.«
»Ich weiß nicht Chef. Heute ist Samstag, dazu müssten wir einige Leute aus dem Bett holen.«
»Dann kümmere dich am Montag drum.« Zorn rieb sich gähnend den Nacken. »Ich werde einfach nicht schlau aus der Sache. Es passt irgendwie nicht zusammen, vor allem verstehe ich nicht, was diese Kids untereinander verbindet.«
»Sie kennen sich, seit sie klein sind, waren im selben Kindergarten. Max Brandt will Psychologie studieren, die beiden anderen machen noch ihr Abitur, allerdings an einer anderen Schule als Björn Grooth. Nach dem, was wir über ihn wissen, war er ein verhätscheltes Einzelkind.«
»Was wollen die von einem debilen Schläger wie Udo Kempff?«
Schröder zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Es gibt einen Geistlichen, mit dem sie sich wohl oft getroffen haben. Den sollten wir mal besuchen.«
»Das machen wir am Montag. Dann werden wir auch die beiden anderen vernehmen«, entschied Zorn und stand auf. Sein linkes Knie gab ein entrüstetes Knacken von sich.
Schröder erhob sich ebenfalls. »Du bist der Boss, Chef.«
»Der bin ich. Und der Boss sagt, dass er Feierabend hat«, erwiderte Zorn, schnappte sich die Zigarette vom Tisch, winkte Schröder zu und ging nach Hause.
*
Schröder stand noch unentschlossen in Zorns Büro. Dachte einen Moment nach, ging zum Fenster und schloss es. Dann wandte er sich wieder zum Tisch. Als er sich setzte, stöhnte er leise und hielt sich den schmerzenden Bauch, etwas, das er nur tat, wenn er allein war. Er hatte behauptet, wieder völlig gesund zu sein, doch das war er nicht. Das würde er nie wieder sein, während der Notoperation vor drei Monaten hatte man ihm eine Niere und einen großen Teil des Dünndarms entfernt. Er hatte darauf bestanden, dass niemand davon erfuhr.
Eine Weile saß er nur da und starrte vor sich hin. Dann holte er das Foto aus der Aktentasche und betrachtete es noch einmal. Es war höchstens ein halbes Jahr alt: fünf glückliche, zufriedene Teenager. Selbst Udo, der Schläger, grinste in die Kamera. Er hatte die Hand um die Schulter des Mädchens gelegt, eine blasse junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren. Sie wirkte ernster als die anderen, nur um ihre Lippen spielte ein spöttisches Lächeln. Der Junge rechts neben ihr musste ihr Bruder sein, Eric, er hatte dieselben dunklen, fast schwarzen Augen. Björn Grooth hielt sein Bier lachend in die Höhe. Am linken Bildrand stand Max Brandt, er war der Einzige, der nicht in die Kamera blickte, sondern seitlich, auf das Mädchen.
Fünf Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, murmelte Schröder. Was verbindet euch? Und wer, verdammt nochmal, hat einen von euch fast geköpft?
Sechs
ich bin anders als ihr
natürlich sehe ich euch ähnlich, auf den ersten blick jedenfalls – ich esse, ich trinke, ich schlafe – manchmal gehe ich sogar ins kino und mache andere dinge, die ihr auch tut – aber das sind kleinigkeiten, nicht mehr als hauchdünne fäden, die mich mit euch verbinden, mit euch und eurer so genannten realität
niemand von euch kann verstehen, was ich getan habe, ihr werdet nie begreifen, was noch geschehen wird, es gibt keinen unter euch, der dazu auch nur annähernd fähig wäre
ihr wisst nicht, wozu ich imstande
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