Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
einfühlsam, die beiden sind sensibel.«
»Wenn das ein Witz sein sollte, war er noch schlechter als der erste. Und das will was heißen, Chef.«
Sie legten auf.
*
Zorn wartete in der Universitätsbibliothek, einem hohen Saal, in dessen Mitte Dutzende Tische mit Computern standen. Durch die riesigen Oberlichter an der geschwungenen Decke fiel das Sonnenlicht und tauchte den Raum in gleißende Helligkeit. Es war auffällig still, obwohl sich hier mindestens dreißig, vierzig Studenten aufhielten.
Aus dem Hintergrund näherte sich ein schlanker Mann und kam eilig näher. Peter Brandt war in den Fünfzigern und trug eine randlose Brille. Das graue, lockige Haar war dünn und hatte wohl schon vor einiger Zeit begonnen auszufallen. Seine Stirn war bereits vollständig kahl, Leberflecken wuchsen auf der faltigen Haut. Er reichte Zorn die Hand.
»Wenn ich ehrlich bin, wäre es mir lieber gewesen, wenn Sie sich angemeldet hätten, Herr Kommissar.«
»Das hätte ich getan, wenn ich Zeit dazu gehabt hätte.«
Brandt nickte. Trotz der Hitze trug er einen hellgrauen Wollpullunder über einem gestreiften Hemd. Sein Atem roch nach frischem Kaugummi und nach etwas anderem, möglicherweise Alkohol, Zorn war nicht sicher. Egal, dachte er, es geht mich nichts an, was dieser Mann während seiner Arbeit macht.
»Hier entlang, Herr Kommissar.«
Sie folgten einem turmhohen Regal, das bis unter die Decke reichte und mit Büchern vollgestopft war. Schließlich erreichten sie eine Tür, Brandt öffnete und bat Zorn einzutreten. Das Büro war klein, ein heller Raum mit weiß gestrichenen Wänden. Brandt öffnete ein Fenster und setzte sich dann hinter den Schreibtisch. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr, dann deutete er auf einen Plastikstuhl.
»Nehmen Sie bitte Platz. Ich habe leider nicht viel Zeit.«
Zorn setzte sich. Der Stuhl schabte über das helle Linoleum.
»Warum nicht?«
»Wie meinen Sie das, Herr Kommissar?«
»Warum haben Sie keine Zeit?«
»Nun, ich habe zu tun.« Brandt deutete ein Lächeln an. »Auch wenn es für einen Außenstehenden nicht so aussehen mag.«
Vater und Sohn sahen sich ähnlich, jetzt, aus der Nähe, gab es keinen Zweifel. Der Mann hatte dieselben weichen, fast femininen Gesichtszüge wie Max. Einen Unterschied gab es allerdings: Max war unsicher, schien von Selbstzweifeln geplagt (was natürlich an seinem Alter liegen konnte). Sein Vater hingegen schien von der eigenen Wichtigkeit überzeugt. Ein wenig zu sehr, fand Zorn und beschloss, den Mann nicht zu mögen. Er lächelte ebenfalls.
»Ihre Arbeit ist zweifellos bedeutsam, Herr Brandt. Was genau tun Sie hier?«
Brandt straffte sich ein wenig.
»Ich leite diese Bibliothek. Das klingt einfach, aber es ist eine Menge zu tun. Sie befinden sich hier in einem der größten wissenschaftlichen Archive Europas. Ich habe drei Mitarbeiter, da geht es nicht nur um unseren Bestand an Büchern, sondern auch um Öffentlichkeitsarbeit, Internet, ich muss die Datenbanken kontrollieren und so weiter. Und ich muss mich um die Studenten kümmern, die sind manchmal schlimmer in Schach zu halten als der berühmte Sack mit den Flöhen.«
Zorn schwieg. Brandt bedachte ihn mit einem Blick, der beinahe mitleidig wirkte. »Wie gesagt, ich erwarte nicht, dass Sie als Außenstehender das verstehen.«
Das tat Zorn tatsächlich nicht, fragte aber stattdessen: »Sie wissen, warum ich hier bin?«
»Ich kann es mir denken.«
»Es geht unter anderem um Ihren Sohn.« Zorns Lächeln wurde breiter. »Wenn Sie jetzt zu beschäftigt sind, komme ich nächste Woche wieder. Bis dahin können Sie in Ruhe Ihre Bücher sortieren.« Er stand auf, legte die Hand auf den Türgriff und drehte sich noch einmal um. »Ich weiß allerdings nicht genau, ob Max dann noch lebt.«
Das war natürlich übertrieben, aber es verfehlte seine Wirkung nicht.
»Bleiben Sie bitte.«
Der Bibliothekar war blass geworden. Die Selbstgefälligkeit war aus seinem Gesicht gewichen, als hätte jemand mit einem Schwamm darübergewischt. Zorn stellte den Stuhl dicht vor den Schreibtisch und setzte sich wortlos. Brandt nahm die Brille ab.
»Glauben Sie wirklich, dass Max in Gefahr ist, Herr Kommissar?«
»Das sage ich Ihnen, wenn Sie mir erzählt haben, was Sie wissen.«
»Ich weiß nicht mehr als das, was in den Zeitungen steht.«
»Das ist eine ganze Menge. Zwei seiner besten Freunde sind innerhalb kürzester Zeit ermordet worden. Wollen Sie mir sagen, dass Sie sich keine Sorgen machen?«
»Moment.«
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