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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Beschwörungsformel.
    Das Brodeln wird lauter.
    Jetzt kocht das Wasser.
    *
    Die Nagelschere ist leicht, sie wiegt fast nichts in ihrer Hand. Die Spitze ist ein wenig rostig, Martha steht am Waschbecken und betrachtet sie nachdenklich.
    Sie hat es schon einmal versucht. Es hat nicht geklappt, weil sie unterschätzt hatte, wie gut die Hauptschlagader an ihrem Handgelenk geschützt ist. Sehnen liegen darüber, und Knorpel. Man braucht Kraft, um das alles zu durchtrennen. Und das muss man, wenn man die Arterie treffen will. Außerdem muss man längs schneiden. Nicht quer zum Handgelenk, sonst ritzt man die Ader nur ein wenig. Auch das wusste sie noch nicht. Damals, bei ihrem ersten Versuch.
    Sie hebt den linken Arm. Bewegt die Finger ein wenig und sieht, wie unter der Haut die Muskeln zucken. Irgendwo da drunter verläuft die Arterie, man spürt den Puls, wenn man mit dem Daumen daraufdrückt.
    Die Schere hält sie in der anderen Hand, sie hat die Finger zur Faust geballt, nur die Metallspitze schaut ein wenig hervor.
    Nicht schneiden, sondern stechen. Ein kleines Loch, mehr nicht. Tief muss es nicht sein, ein, zwei Zentimeter sollten reichen. Es wird weh tun, aber es wird nicht lange dauern, wenn sie die richtige Stelle trifft. Dann muss sie nur ein wenig warten, ein paar Minuten vielleicht, bis sie ohnmächtig wird. Danach ist alles vorbei. Kein Nachdenken mehr, keine Fragen. Nie mehr Dinge tun, die sie eigentlich gar nicht tun will. Endlich Ruhe.
    Sie hebt die Hand.
    Die Neonröhre über dem Spiegelschrank flackert. Das Relais klickt, die Röhre geht aus, dann leuchtet sie wieder.
    Die Schere blitzt auf.
    *
    Schröder legt zwei Teebeutel in die Kanne. Noch immer ist er mit den Gedanken woanders, er bewegt sich, als wäre er unter Wasser, langsam, mit fließenden, wie ferngesteuerten Gesten.
    Das Teewasser kocht, Blasen steigen auf, der Dampf verteilt sich in der winzigen Küche. Der Topf ist halbvoll, er hat ihn vor zwei Jahren von seiner Mutter geschenkt bekommen.
    Er bückt sich, greift nach einem Topflappen, plötzlich richtet er sich auf. Sein Körper strafft sich, als habe er einen Entschluss gefasst.
    Ich halte es nicht aus, sagt er laut.
    Das sind die Worte, die er die ganze Zeit vor sich hingemurmelt hat: Ich halte es nicht aus. Ich muss mich dagegen wehren.
    Er hebt die linke Hand.
    Ich werde bis fünf zählen, murmelt er. Fünf Sekunden sollten reichen.
    *
    Ein leises Klirren. Die Schere fällt ins Waschbecken.
    Ich kann es nicht, flüstert Martha Haubold. Scheiße, ich kann es einfach nicht.
    *
    Hauptkommissar Schröder schließt die Augen.
    Dann hält er die Hand in das kochende Wasser.

Vierzehn
    Der Waldkater befand sich direkt am Rand des Stadtwalds. Seit über hundert Jahren trafen sich die Menschen an diesem niedrigen Backsteinbau, um von hier aus einen Ausflug zum See oder zum Aussichtsturm zu machen. Besonders im Sommer war die Kneipe beliebt. Direkt vor dem Eingang begann ein asphaltierter Radweg, der quer durch den Wald verlief.
    Zorn und Schröder saßen hinten, im Biergarten, unter hundertjährigen Kastanien an einem wackeligen Holztisch. Außer ihnen waren etwa ein Dutzend verspätete Ausflügler im Garten, tranken Bier, unterhielten sich oder lauschten der Schlagermusik, die blechern aus kleinen, im Astwerk der Bäume versteckten Lautsprechern drang. Es war bereits Abend, ein weiterer heißer Tag war vergangen. Jetzt, da die Dämmerung einsetzte, war es angenehm kühl.
    Zorn warf Schröder einen Blick zu. Dessen linke Hand war bandagiert.
    »Was ist mit deiner Hand passiert?«
    »Nichts weiter, ein kleiner Unfall, Chef.«
    Schröder sah müde aus, unter den kleinen Augen lagen tiefe Schatten. In der letzten Zeit schien er schlecht zu schlafen, er war unrasiert und, schlimmer noch, Zorn meinte, einen leichten Schweißgeruch wahrzunehmen. Dinge, die so ganz und gar nicht zu Schröder passen wollten.
    »Was für ein Unfall?«
    »Ein Unfall eben!«
    Der Kellner, ein älterer Herr mit zerknittertem Gesicht und ebensolchem Anzug, trat heran. Ein fleckiger silbergrauer Schlips hing ihm ein wenig schief um den dünnen Hals. Zorn wusste nicht, warum, aber irgendwie erinnerte er ihn an einen arbeitslosen Opernsänger.
    »Die Herren wünschen?«
    »Ich nehm ein Bier«, sagte Zorn.
    »Weißwein«, beschied Schröder knapp. »Trocken, bitte.«
    Der Zerknitterte deutete eine Verbeugung an und verschwand im Inneren der Kneipe.
    »Seit wann trinkst du Alkohol, Schröder?«
    »Ich bin volljährig,

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