Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
könnte mir vorstellen, dass die gestrige Nacht nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen ist.« Die Staatsanwältin warf Zorn einen Blick zu, der besorgt, nein, schlimmer noch, fast mütterlich zu nennen war.
Zorn rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Schrö- der saß neben ihm, die Aktentasche zwischen den Beinen, die kur- zen Arme baumelten an der Seite herunter. Gesagt hatte er bisher nichts.
Mein Gott, dachte Zorn. Diese Frau könnte fast meine Tochter sein. Warum tut sie ständig so, als könne ich nicht selbst auf mich aufpassen? Okay, sie ist meine Vorgesetzte. Doch das gibt ihr noch lange nicht das Recht, mich wie einen unmündigen Trottel zu behandeln.
»Sie haben recht«, sagte er, »jedenfalls damit, dass die letzte Nacht anstrengend war. Das ist aber auch schon alles.«
Frieda Borck hob die Augenbrauen.
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, Sie sagten etwas von hervorragender Arbeit.«
»Allerdings, Herr Zorn.«
»Ich würde das eher als Glück bezeichnen. Der Junge hat mich angerufen, zufällig war ich in der Nähe und deshalb als Erster am Turm. Mehr nicht.«
Die Augenbrauen der Staatsanwältin hoben sich ein weiteres Stückchen.
»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, zumal ich mich wundere, dass Sie zu dieser Art von Selbsterkenntnis überhaupt fähig sind.«
»Ja«, nickte Zorn ernst. »Wenn ich’s mir recht überlege, bin ich selbst völlig von den Socken. Aber so ist es nun mal. Ein Zufall.«
»Wie Sie meinen.« Frieda Borck schob ihren Stuhl zurück. »Im Endeffekt ist es auch egal, jetzt, wo Sie den Fall so gut wie gelöst haben.«
Nun war es an Zorn, die Brauen zu heben.
»Haben wir das denn?«
»Aber sicher. Zumindest haben wir einen dringend Verdächtigen. Dieser Priester …«
»Pastor Giese«, warf Schröder ein.
»Ja, dieser Pastor Giese war dabei, den dritten Jungen zu töten. Sie haben den Mann auf frischer Tat ertappt.«
»Richtig. Die anderen beiden Fälle müssen wir ihm allerdings erst noch nachweisen.«
Die Staatsanwältin wandte sich an Schröder.
»Das sollte nicht allzu schwer werden, oder?«
»Nun ja«, Schröder kratzte sich im Nacken. »Ein Geständnis werden wir so schnell nicht bekommen, Giese ist noch immer nicht ansprechbar. Wie Sie wissen, haben wir in den ersten beiden Fällen so gut wie keine Spuren.«
»Das mag ja sein, Herr Hauptkommissar. Aber jetzt, wo wir den Priester im Visier haben, kann die Spurensicherung noch einmal gezielt nach Hinweisen suchen.«
»Was wir auf jeden Fall tun werden«, nickte Schröder. »Aber das wird dauern.«
»Ich habe eine Hausdurchsuchung veranlasst. Wir werden seine Wohnung auf den Kopf stellen, und ich kann nur hoffen, dass wir dort etwas finden. Spätestens morgen Mittag muss ich eine Pressemitteilung rausgeben.«
Frieda Borck streckte den Rücken. Zorn sah die Umrisse ihres BHs unter der weißen Bluse.
»Ist das nicht ein wenig vorschnell?«, fragte er und wandte schuldbewusst den Kopf ab.
»Mag sein. Aber die Presse wird bald Wind von der Sache bekommen, dann muss ich reagieren. Lieber wäre es mir allerdings, wenn ich denen zuvorkommen könnte.«
Das ist mir klar, dachte Zorn. Und es wäre toll, wenn Giese auch die beiden anderen auf dem Gewissen hätte. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube nicht daran. Es ist einfach zu naheliegend. Leider kann ich es nicht begründen, verdammt. Wieder mal so ein Gefühl, mehr nicht.
»Wir geben uns Mühe, Frau Borck«, sagte Schröder. »Irgendetwas werden wir bis morgen Vormittag schon finden. Nachher vernehmen wir erst einmal Max Brandt, ich denke, danach sind wir einen großen Schritt weiter.«
»Ich verlass mich auf Sie.« Die Staatsanwältin überlegte, dann fiel ihr noch etwas ein. »Wo waren Sie eigentlich gestern Abend, Herr Schröder?«
»Ich?«
»Ja.«
»Nun, ich habe …«
»Schröder war zu Hause«, unterbrach Zorn. »Er hat den Laptop von Björn Grooth untersucht. Auf dem Aussichtsturm konnte ich ihn nicht gebrauchen, da waren mehr als genug Leute.«
Schröder warf Zorn einen Blick zu. Die Staatsanwältin registrierte es, sagte aber nichts. »Wie dem auch sei«, meinte sie, »es wird einigen Rummel geben. Die Morde sind durch die Bank äußerst spektakulär, und die Presse wird garantiert durchdrehen, wenn wir einen Verdächtigen präsentieren.« Sie nahm einen Bleistift vom Tisch und wies auf Zorn. »Da kommt einiges auf Sie zu, Herr Hauptkommissar.«
»Ja?«
»Ja. Und ich fürchte, es wird Ihnen nicht gefallen. Fototermine, Interviews und so
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