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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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hinter seinem Pult, die Stimme der Reporterin zog an ihm vorbei wie ein Vogelschwarm im Spätherbst. Er roch ihr Parfum, den Schminkpuder und etwas anderes, heißes Plastik oder schmelzende Folie vielleicht. Staubkörnchen tanzten in der drückenden, elektrisch aufgeladenen Luft. Es war wie im Traum, die Situation schien unwirklich, fast surreal. Er schloss die Augen und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinablief, und sehnte sich nach einer kalten Dusche.
    Plötzlich merkte er, dass es im Studio verdächtig still war. Totenstill. Als er aufblickte, sah ihn die Reporterin mit großen Augen an. Ihr Lächeln wirkte, als wäre es ihr mit einer Feile ins Gesicht gefräst worden.
    »Was? Ich habe Sie nicht verstanden«, sagte Zorn und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
    »Ich fragte, wie Sie den Täter gefunden haben, Herr Kommissar.«
    »Hauptkommissar.«
    »Wie bitte?«
    Zorn fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
    »Ich bin Hauptkommissar. Wie war noch mal die Frage?«
    Die Reporterin ordnete ihre Kärtchen.
    »Also, Herr Haupt kommissar«, erwiderte sie, Zorn war nicht sicher, aber er meinte, wieder ein leichtes Lispeln zu vernehmen, »können die Menschen dieser Stadt jetzt wieder ruhig schlafen?«
    »Keine Ahnung. Ich kümmere mich nicht um die Schlafgewohnheiten anderer Leute.«
    Ein Scheinwerfer knackte. Die Reporterin lachte gequält auf, es klang, als würde ein Besteckkasten zu Boden fallen.
    »Okay«, sagte sie, »dann eine andere Frage. Können Sie uns etwas zur Identität des Mörders sagen?«
    »Das kann ich nicht.« Zorn nestelte am Kragen seines Hemds, die Luft wurde knapp. Sein Hals war trocken, er räusperte sich umständlich. »Aus dem einfachen Grund, weil ich nicht weiß, ob wir einen Mörder gefasst haben.«
    Er wusste, dass Frieda Borck in ihrem Büro saß und zusah. Und er stellte sich vor, wie sie in diesem Moment aufsprang und wütend mit dem Fuß aufstampfte. Komisch, aber der Gedanke gefiel ihm. Sehr sogar.
    »Wir haben erfahren, dass es sich um einen Geistlichen handeln soll, Herr Hauptkommissar.«
    Zorn hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Die Scheinwerfer drehten sich vor seinen Augen, er schwankte und hielt sich am Pult fest.
    »Es gibt viele Geistliche in dieser Stadt. Von einem Mörder weiß ich nichts.«
    Wieder lächelte die Reporterin. Sie erinnerte an einen Haifisch, kurz bevor er zuschnappt.
    »Wir schon.«
    »Gratuliere, dann wissen Sie mehr als ich.« Ein Schweißtropfen lief langsam an seiner Schläfe hinab. Er blinzelte. Seine Nase juckte, er kämpfte gegen den unbändigen Drang, sich zu kratzen.
    »Nach unseren Informationen liegt der Mann im städtischen Krankenhaus.«
    »Was?«
    »Die Menschen haben ein Recht, zu erfahren, wer sie so lange in Angst und Schrecken versetzt hat, denken Sie nicht auch, Herr Hauptkommissar?«
    Zorn schloss die Augen. Jetzt drehte sich das gesamte Studio in seinem Kopf, sein Herz raste, ihm wurde schlecht, der Schwindel raubte ihm die Orientierung.
    »Ich brauch ein Glas Wasser«, wollte er sagen, doch seine Stimme setzte aus. Es rauschte zwischen seinen Schläfen, ein widerliches, markerschütterndes Grollen. Dann wurde ihm kalt.
    Scheiße, was ist los, bin ich besoffen?, dachte er noch. Dann sackte er nach vorn.
    Zuerst riss er sein eigenes Pult, dann das der Reporterin um, bis er schließlich kerzengerade, mit dem Kopf voran, auf den Boden knallte.
    Den Aufschlag spürte Hauptkommissar Zorn nicht mehr.
    *
    Das Gesicht des Priesters liegt im Halbschatten. Draußen, vor der Intensivstation, zieht ein Krähenschwarm über den Abendhimmel und verschwindet in Richtung Hubschrauberlandeplatz.
    Gieses Augen sind geschlossen. Plötzlich flattern seine Lider, der Kopf bewegt sich auf dem Kissen. Die linke Faust ballt sich, die Knöchel treten hervor, als sich seine Finger im Laken verkrallen. Ein Stöhnen.
    Er öffnet den Mund: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach …«
    Ein Flüstern, nicht mehr als ein Hauch.
    Die Zunge fährt über die trockenen, aufgesprungenen Lippen.
    »… aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.«
    Lauter jetzt, doch er ist allein im Zimmer.
    Niemand hört es.

Zweiundzwanzig
    Es war kurz nach Mitternacht, als Zorn schließlich wieder zu sich kam. Er lag auf dem Sofa, doch es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er daheim war. Schwerfällig erhob er sich. Einen Moment lang stand er schwankend im Zimmer,

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