Zorn
versuchen …«
»Ach, lassen Sie’s«, sagte Lucas. »Mir fällt da was anderes ein. Brian Hanson, ein früherer Polizist aus Minneapolis, ist oben am Lake Vermilion angeblich aus seinem Boot gefallen. Könnten Sie überprüfen, ob es Meldungen darüber gibt?«
»Klar.« Sie drückte einige Tasten, und ein Bericht erschien auf dem Bildschirm. »Von einem Fernsehsender außerhalb von Duluth«, erklärte sie.
Lucas las den Text über ihre Schulter: Die Nachbarn hatten Hanson früh am Morgen kommen und das Boot hinausfahren hören. Das Boot, eine Lund, war kurz nach Tagesanbruch mit laufendem Motor mitten auf dem See entdeckt worden. Ein Angler war hineingeklettert, hatte Hansons Hut und seine Angelrute gefunden und die Box mit der Ausrüstung aufgemacht. Bisher war keine Leiche aufgetaucht.
»Das ist nicht ungewöhnlich«, sagte Sandy. »Er hat über den Bootsrand gepinkelt und ist rausgefallen, und das Boot ist weitergefahren. Das Wasser ist das ganze Jahr über ziemlich kalt, also dürfte er an Unterkühlung gestorben und untergegangen sein. Das passiert öfter.«
»Ja, aber … Er hat im Fall Jones ermittelt und ist einen Tag nach dem Fund der Mädchen verschwunden. Es macht mir Kopfzerbrechen, dass sie seine Leiche noch nicht aufgespürt haben.«
»Glauben Sie, er könnte seinen eigenen Tod vorgetäuscht haben?«
Lucas kratzte sich am Kopf. »Die Idee ist mir noch gar nicht gekommen.«
Von seinem Büro aus rief er beim St. Louis County Sheriff an, wurde mit dem Deputy verbunden, der den Unfall bearbeitete, und erhielt von ihm die Namen der beiden Angler, die das leere Boot gefunden hatten. Der Deputy erklärte, an dem Verschwinden sei nichts wirklich Verdächtiges: »So was passiert. Ein Mann fällt ins Wasser, das Boot treibt weg, er geht unter, Punkt. Keine Spuren von Gewalteinwirkung, nichts. Er ist einfach verschwunden – aber irgendwann taucht er wieder auf. Ungefähr zehn Tage, dann kommt er an die Oberfläche.«
Lucas telefonierte herum, bis er einen der Angler aufspürte, den stellvertretenden Geschäftsführer eines Target-Ladens in Virginia. Das Boot, berichtete er, sei vor sich hin getuckert.
»Wie schnell?«, erkundigte sich Lucas. »In Schrittgeschwindigkeit?«
»Eher wie ein Jogger.«
»Großes Boot?«
»Mittelgroß. Die Polizei hat es ohne Probleme ans Ufer geschleppt.«
»Was für ein Motor?«, fragte Lucas.
»Ein vierziger.«
»Schwimmweste an Bord?«
»Hmm … ich glaube nicht, dass eine drin war.«
Lucas bedankte sich und legte auf. Er überlegte kurz, griff noch einmal zum Hörer und rief Virgil Flowers an, einen Agenten, der hauptsächlich außerhalb der Stadt tätig war. »Wo bist du?«, fragte er, als Virgil sich meldete.
»Im Gerichtsgebäude von Pope County. Wegen der Doug-Spencer-Aussage.«
»Ich wollte dich was fragen«, sagte Lucas. »Du hattest doch mal so eine kleine Lund, oder?«
»Ja. Mehr konnte ich mir von meinem mickrigen Gehalt nicht leisten.«
»Wir haben da jemanden, der angeblich beim Angeln aus einem mittelgroßen Boot gefallen ist«, erklärte Lucas. »Sein Hut wurde in dem Boot gefunden, dazu zwei Angelruten und eine Box mit Ausrüstung. Das Boot ist herrenlos herumgefahren, etwa in der Geschwindigkeit eines Joggers. Keine Leiche. Warum ist er über Bord gegangen?«
Kurzes Schweigen, dann antwortete Virgil: »Er ist auf den Griff eines Keschers oder die Angelrute getreten und ausgerutscht. Der Dollbord hat ihn an der Kniekehle erwischt, und er ist rückwärts ins Wasser gefallen.«
»Es gibt die Theorie, dass er vom Boot gepinkelt hat.«
»Nicht von so einem Boot, und nicht bei laufendem Motor«, entgegnete Virgil. »Über den Motor kann man nicht pinkeln, bei der Belastung im hinteren Teil würde das Boot die ganze Zeit im Kreis rumfahren. Von der Seite aus hätte er sich selber angepinkelt. Wenn man vom Boot aus pinkeln will, muss man den Motor ausschalten.«
»Sonst noch eine Möglichkeit, wie er über Bord gegangen sein könnte?«
»Wenn das Boot auf den Wellen wippt, verliert man schon mal das Gleichgewicht …«
»Kein Wind, glattes Wasser.«
Wieder Schweigen. »Man tritt auf den Griff des Keschers.«
»Keine anderen Ideen?«
»So leicht fällt man nicht aus einem Boot«, erklärte Virgil. »Wenn man auf einem Boot dieser Größe allein ist, geht man nicht viel rum. Jedenfalls nicht bei laufendem Motor. Man sitzt. Barschangler?«
»Soweit ich weiß, ja.«
»Noch weniger Grund, sich im Boot zu bewegen«, sagte Virgil. »Völlig
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