Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn

Zorn

Titel: Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
Vom Netzwerk:
darfst die andere Schiene nicht aus dem Blick verlieren.«
    »Was für eine Schiene?«
    »Die politische«, antwortete Lucas. »Die Schiene, die erfordert, dass zwei Weiße Befragungen bei Schwarzen durchführen, damit es aussieht, als würde sich jemand für den Fall interessieren, obwohl dem nicht so ist.«
    »Die Schiene gefällt mir nicht«, sagte Del.
    Als die Lichter in dem Viertel auszugehen begannen, machten sie sich auf den Heimweg. Zu Hause dachte Lucas über den Fall nach, während er einzuschlafen versuchte. Er war auf angenehme Weise verwirrend wie ein kompliziertes Puzzle oder ein tolles Spiel. Und bei der Lösung gab es eine Million Möglichkeiten, sich zu blamieren.
    Er schlief noch tief und fest, als am folgenden Morgen um acht das Telefon klingelte. Die Zentrale teilte ihm mit, dass eine Frau ihn dringend zu erreichen versuche. Lucas wählte die Nummer, die sie hinterlassen hatte.
    Es war Karen Frazier mit den blauen Haaren.
    »Bei den Obdachlosen herrscht wegen Scrape Panik. Ich habe mit einem von ihnen gesprochen – er heißt Millard. Er sagt, dass er Scrape heute Nacht am Flussufer gesehen hat. Auf der Ostseite.«
    »Wo sind Sie?«, fragte Lucas.
    »Gleich dort, an der Main Street. Ich suche nach ihm.«
    »Machen Sie das lieber nicht«, sagte Lucas. »Selbst wenn er’s nicht war – er ist verrückt, und wir haben ihm ein ziemlich großes Messer abgenommen. Wahrscheinlich hat er sich in der Zwischenzeit ein neues besorgt.«
    »Kann sein. Glauben Sie, er war’s?«
    »Ich weiß es nicht – manches spricht gegen ihn. Rühren Sie sich nicht von der Stelle; ich komme zu Ihnen. Geben Sie mir zwanzig Minuten. Wir treffen uns am Ende der Brücke.«
    Er wälzte sich aus dem Bett, putzte sich die Zähne, sparte sich die Rasur, duschte in einer Minute und zog sich in zweien an. Kurz spielte er mit dem Gedanken, im Revier anzurufen, doch wenn sich die Chance ergab, Scrape allein aufzuspüren …
    Er warf einen letzten Blick auf das Telefon und machte sich ohne allzu große Gewissensbisse auf den Weg.
    Karen Frazier saß auf einer Bank südlich der Central-Avenue-Brücke. Lucas hielt an, legte seinen Dienstausweis aufs Armaturenbrett, verschloss die Tür und ging zu ihr. Als sie ihn sah, stand sie auf.
    »Alle haben Angst«, sagte sie. »In der Zeitung war ein großer Artikel darüber, dass er verschwunden ist und vielleicht einen Schwarzen erstochen hat. Die Polizei scheucht alle auf, und die Obdachlosen verlassen die Stadt …«
    »Wir haben die Hoffnung in dem Fall mit den Mädchen noch nicht aufgegeben«, erklärte Lucas. »Groß sind die Chancen nicht, aber wir müssen dranbleiben.«
    Sie wirkte skeptisch. »Ich habe das Gefühl, Sie machen das eher für die Medien, als wirklich zu suchen.«
    »Doch, wir suchen wirklich«, beteuerte Lucas. »Und ich habe niemanden verscheucht, ich arbeite jetzt am Fall Smith.«
    Sie wandte sich ab und blickte den Fluss hinunter.
    »Egal«, sagte Lucas. »Sie haben diesen Millard erwähnt. Wo steckt er?«
    »Ich möchte nicht, dass Sie mit ihm sprechen, weil er sich denken kann, woher Sie seinen Namen haben.«
    Lucas schüttelte den Kopf. »Ich werde Sie nicht verraten.«
    »Ich sage Ihnen, was ich von ihm weiß. Er hat mir erzählt, Scrape wäre unter der Brücke gewesen und dann die Böschung runtergeklettert. Millard behauptet, dass es da unten Eingänge zu Höhlen und Kanalisationsrohre gibt. Seiner Ansicht nach versteckt sich Scrape da drin.«
    »Ich muss mit Millard sprechen«, wiederholte Lucas.
    Es dauerte eine Weile, bis es Lucas gelang, sie dazu zu bringen, dass sie mit ihm nach Millard Ausschau hielt.
    »Ich komme mir wie Judas vor«, gestand sie, als sie zum Wagen gingen.
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte Lucas und erzählte ihr von seiner Undercover-Arbeit fürs Drogendezernat und dem üblen Beigeschmack, den diese Arbeit bei ihm hinterlassen hatte. »Drogen sind gefährlich, und deshalb ist es wichtig, die Dealer von den Straßen wegzubekommen. Trotzdem wollte ich es nicht mehr machen.« Einige Zeit später fragte er: »Ist Millard sein Vor- oder sein Nachname?«
    »Keine Ahnung«, antwortete sie. »Er ist einfach nur Millard.«
    »Wie Madonna.«
    Das entlockte ihr kein Lächeln.
    Sie spürten Millard in einer Kleiderkammer knapp einen Kilometer vom Fluss entfernt auf, die von Althippies geführt wurde. Millard saß auf einer Treppe am einen Ende des Ladens, bei einem Tisch mit gebrauchten Schuhen. Auf den Stufen neben ihm standen mehrere Paar Schuhe,

Weitere Kostenlose Bücher