Zornesblind
zukünftig cleverer zu sein. Er wollte vorsichtshalber dünne Latexhandschuhe unter den Lederhandschuhen tragen. Zu blöd, dass ihm das passieren musste.
Jetzt hatten sie eine Spur.
Seine Gedanken liefen spontan Amok, eine eisige Gänsehaut lief über seinen Rücken. Hatte er hinterher noch irgendwas angefasst – ohne Handschuh? Und wenn ja, was? Hatte er Fingerabdrücke am Tatort hinterlassen?
Seine Miene verhärtete sich, unmöglich, die Gesichtsmuskulatur zu entspannen. Dieser Cop war ein ausgebuffter Hund. Er hatte von den Kühlschrankrosten spontan auf sein Versteck geschlossen. Und er war ruhig, logisch und taktisch vorgegangen. Hatte die Eisschranktür geöffnet und ihm null Option gelassen.
Null Option.
Die Angst wallte erneut auf, fast unerträglich. Die Natter lehnte sich zurück und stöhnte gequält auf. Er kroch über den kalten Betonboden zu der rückwärtigen Wand mit dem Highboard. Zog sich an den Rändern des Möbels hoch und spähte zu der Luke in der Decke.
Sie war verschlossen.
Er war in Sicherheit.
Er rückte die Anrichte beiseite. Sie war schwer und sperrig, aber er schaffte es. Wie jedes Mal.
In der Wand dahinter klaffte eine kleine Öffnung. Dort stand eine alufarbene Aufbewahrungsbox – sein persönlicher heiliger Gral. Dieses Ding wischte und polierte er mehrmals täglich auf Hochglanz. Darin bewahrte er seine DVD s und Blue-Ray-Disks auf.
Sie waren seine Erlösung.
Er nahm die Box vorsichtig aus der Nische. Stellte sie auf das weiche burgunderrote Tuch, das auf dem Boden ausgebreitet lag, und öffnete den Deckel. Betrachtete fasziniert den Inhalt. Zwei Reihen DVD s und Blue-Ray-Disks. Seine Aufnahmen. Seine wunderschönen, bezaubernden Filme. Sechsunddreißig, um exakt zu sein.
Eigentlich waren es siebenunddreißig.
Das Video von Mandy Gill fehlte noch. Und das könnte zu einem echten Problem werden, seufzte er.
Der Anblick der leeren DVD -Hülle brachte die Dunkelheit zurück, doch bevor sich der Gedanke in seinem Kopf festsetzen konnte, hörte er das Klingeln. Laut und schneidend, dass er sich versteifte, als hätte man ihm einen Gürtel über den Rücken gezogen.
Der Doktor.
Und das war kein gutes Zeichen.
Die Natter fuhr zischend zusammen und fasste sich hastig. Er schloss die silbrig glänzende Box und stellte sie behutsam an ihren angestammten Platz. Dann schob er die Anrichte wieder vor das Loch in der Wand.
Er kletterte die Leiter hoch und öffnete die Falltür.
Als er das Besprechungszimmer betrat, hatte er mit einem Mal Beklemmungen. Die Gegensätze waren alarmierend. Bei ihm unten war es kalt und dunkel, im Zimmer vom Doktor jedoch sehr heiß und hell. In seinem Unterschlupf fühlte er sich sicher und geborgen, auch wenn er sich das einbildete, es war so. Hier im Büro vom Doktor spürte er immer den Hauch der Gefahr. Von Bedrohung. Verzweiflung.
Und zwar sehr, sehr real.
Der Doktor saß in einem Ledersessel. Die Dunkelheit vor dem Fenster sperrte die Außenwelt aus, machte sie diffus.
Wie seine Stimmung.
»Ich bin unzufrieden mit dir«, sagte der Doktor.
Die Natter senkte den Blick zu Boden. »Ich weiß.«
»Du hast dich sehr dumm verhalten.«
»Ich kann nichts dafür. Die Cops … Sie waren auf einmal da .«
»Haben sie dein Gesicht gesehen?«
»Sie wissen nichts.«
»Haben Sie dein Gesicht gesehen?«
»Nein.«
»Umso besser für dich. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns, du und ich, und ich kann es mir nicht leisten, dass du mir in irgendeiner Weise Schwierigkeiten machst.«
Eine Pause schloss sich an – für die Natter hätten es Minuten oder Sekunden sein können, denn die Zeit floss selten normal. Dann sprach der Doktor erneut. Kurz, direkt und präzise.
»Du kennst die Regeln.«
Die Natter hob den Kopf. »Aber es war nicht meine Schuld!«
»Schuld?« Der Doktor lachte hohl. »Was heißt denn hier Schuld? War es etwa Williams Schuld?«
Die Natter blieb stumm und begann zu zittern.
»Nein«, sagte er leise. »Nein.«
Er gehorchte. Er befolgte die Regeln. Und kapitulierte.
Er ging zum Brunnen.
13
»Wir müssen mehr über Mandy in Erfahrung bringen«, sinnierte Striker laut.
Das Opfer kennen lernen. Das war wichtig und stand ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Okay, Mandy war keine Unbekannte für ihn, seitdem sie und Courtney vor Jahren dieselbe Schule besucht hatten. Und er hatte letztes Jahr ein paarmal mit ihr zu tun gehabt, als er Bernard Hamilton vertreten hatte.
Hamilton arbeitete mit einem Sozialarbeiter zusammen, in
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