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zorneskalt: Thriller (German Edition)

zorneskalt: Thriller (German Edition)

Titel: zorneskalt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette McBeth
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jener Nacht glaubte ich, am Abgrund zu stehen. Ich bin nur froh, dass niemand mir sagte, wie viel tiefer ich noch fallen würde.
    Ich setzte Jake an der Harrow Road ab und fuhr allein die Chamberlayne Road in Richtung Kensal Rise weiter. In London musste es tagsüber geschneit haben, denn auf den Gehwegen lag noch Schneematsch, aber inzwischen regnete es so stark, dass diese letzten Überreste in wenigen Stunden verschwunden sein würden.
    Ich bog auf die Kempe Road ab und fand fünf, sechs Häuser von meiner Wohnung entfernt einen Parkplatz. Ich kann mich nicht daran erinnern, über irgendetwas nachgedacht zu haben. Bestimmt war ich nicht froh über meine Heimkehr. Ich wusste ja, dass Jonny nicht da sein würde. Ich fühlte mich kalt und benommen und wollte dringend schlafen, um allem zu entkommen. Ich wollte eine Pause von mir selbst.
    Deshalb dachte ich an nichts Bestimmtes, sah mich nicht um, nahm meine Umgebung kaum wahr. Ich folgte nur dem Gehweg zur Haustür, als mir plötzlich etwas auffiel: Licht hinter den weißen Lamellenjalousien unseres Wohnzimmers. Ich sah kurz weg und schüttelte den Kopf, weil ich meinen Augen nicht trauen wollte. Aber als ich wieder hinsah, stellte ich fest, dass ich mich nicht getäuscht hatte. In unserer Wohnung war jemand.
    Eine gewaltige Woge der Erleichterung brandete über mich hinweg. Ich ließ meine Tasche fallen und begann zu lachen, dann zu weinen und wieder zu lachen und zu weinen, bis es fast hysterisch klang. Jonny ist daheim. Jonny ist daheim. Mehr konnte ich nicht denken – du weißt ja, dass ich nie etwas eingeschaltet lasse, Clara –, deshalb musste er’s sein. Und ich muss so wahnsinnig glücklich gewesen sein, dass ich so laut » Jonny ist daheim« gerufen habe, dass meine Nachbarin Janice rauskam und fragte: » Alles okay, Rachel?« Ich blickte an mir hinab, sah mich durchnässt und vor Kälte zitternd, nickte wortlos, hob meine Tasche auf und verschwand nach drinnen.
    » Jonny?«
    Ich rief seinen Namen leise, als stellte ich mir selbst eine Frage. Er antwortete nicht. Ich ging ins Wohnzimmer. Es war leer. Die Kissen waren aufgeschüttelt und so angeordnet, wie ich sie jeden Tag arrangierte, bevor ich die Wohnung verließ: das von Heals mit den grünen und blauen Kreisen links außen, in der Mitte das von Missoni mit den vielen bunten Streifen und rechts außen das schwarz-weiße mit der Silhouette von London, das ich scheußlich fand, während Jonny es gernhatte. Sie wirkten alle unberührt.
    » Jonny?«
    Diesmal rief ich lauter und lief den Flur entlang in die Küche. Alle Oberflächen waren so blitzblank und sauber, wie ich sie zurückgelassen hatte. Meine Pflanzen auf der Fensterbank waren wie immer nach aufsteigender Größe angeordnet.
    » JONNY !«
    Das war keine Frage mehr, sondern ein Hilferuf. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Die Erleichterung, die ich eben noch empfunden hatte, war eisiger Angst gewichen, die mich durchpulste. Ich kreischte und schrie seinen Namen immer wieder, aber er gab keine Antwort. Dann lief ich ins Schlafzimmer. Dort brannte kein Licht, der Raum war dunkel. Noch dunkel. Meine Hand lag auf dem Lichtschalter. Ich wollte nicht hinsehen.
    Er musste in unserem Bett liegen: mit geschlossenen Augen, im Tiefschlaf atmend, ohne zu wissen, was um ihn herum vorging. Ich musste ihn berühren und riechen und in mich aufsaugen können. Er musste mich in die Arme schließen und so fest zudrücken, dass er mir fast die Luft aus der Lunge presste. Er musste einfach da sein, denn sonst war nichts in Ordnung, würde nichts jemals wieder in Ordnung kommen.
    Ich knipste das Licht an, hielt die Augen aber noch geschlossen.
    Dann öffnete ich sie.
    Nur ein leeres Bett.
    Nichts würde jemals wieder in Ordnung kommen.
    Einen Augenblick lang stand ich unbeweglich da. Und dann sah ich mich um. Irgendetwas war verändert. Mein Blick suchte jeden Winkel des Raums ab. Straffe weiße Spannbettlaken, Kopfkissen, Steppdecken. Jonnys ungelesene Bücher als kleiner Stapel auf seinem Nachttisch. Seine Seite war unordentlicher. Ein halb leeres Glas Wasser. Ein Notizblock. Kopfschmerztabletten. Alles schien unverändert zu sein, und trotzdem war irgendetwas anders.
    Dann klickte es in meinem Kopf, als hätte ein Kameraobjektiv sich scharf eingestellt.
    Ich atmete langsam tief ein. Es war der Geruch, der nicht stimmte. Er stammte nicht von Jonny. Auch nicht von mir. Er gehörte zu jemand anderem. Und er war frisch. Mein Blick führte mich zum Toilettentisch.

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