zorneskalt: Thriller (German Edition)
als es hoffentlich war.
Am Ende sprach ich nur mit Luke.
» Hi, ich kann Jonny nicht erreichen. Hat er dich zufällig angerufen?«, fragte ich in einem Tonfall, der sorglos heiter klingen sollte.
» Rachel … nein, tut mir leid, bei mir hat er sich nicht gemeldet. Hör zu, ich stecke mitten in einer kniffligen Arbeit, kann ich zurückrufen?«
» Danke, nicht nötig, das war alles, was ich wissen wollte.«
Nick nahm nicht ab, also sprach ich auf seinen Anrufbeantworter. Und Sandra … Ich konnte mich nicht dazu überwinden, sie anzurufen. Zumindest vorerst noch nicht.
An diesem Abend ergriff ich die Gelegenheit, bevor es wieder zu schneien begann, und entkam aus Brighton. Jake wollte gerne mitfahren, und ich war zu meiner Überraschung darüber erleichtert. Ich wollte nicht reden. Ich brauchte nur ein freundlich gesinntes Wesen an meiner Seite, nachdem ich stundenlang mit DCI Gunn gekämpft hatte.
» Na, wo warst du überall?« Wir hatten Brighton kaum verlassen. Jake konnte Schweigen viel schlechter vertragen als ich.
» Hab nur ein paar Leute besucht«, sagte ich.
» Ich dachte, du hättest keine Angehörigen mehr.«
» Ich hab nicht gesagt, dass auch alle meine Freunde tot sind, oder?«
» Hör zu«, sagte er, » versteh mich bitte nicht falsch, aber seit gestern bist du anscheinend nicht so gut drauf. Ich weiß, dass du als Kollegin manchmal nervig sein kannst …« Ich sah weiter auf die Straße, aber ich wusste, dass er dabei lächelte. » … aber seit gestern benimmst du dich einfach komisch. Willst du mir nicht endlich erzählen, was zum Teufel dich zum Ausflippen gebracht hat?«
» Du würdest mir ohnehin nicht glauben.«
» Versuch’s doch mal«, sagte er, und als ich kurz zu ihm hinübersah, fand ich, das sei vielleicht keine schlechte Idee. Vielleicht musste ich mich einmal aussprechen. Und dann hörte ich, wie seine Stimme sich fast überschlug.
» RACHEL ! Pass auf!«
Ich weiß noch, wie Jakes Gesicht vor Entsetzen verzerrt war, als hätte etwas körperlich von ihm Besitz ergriffen. Ich sehe noch, wie er mit ausgestreckter Hand nach vorn zeigte. Fast auf unserer Spur kam uns ein Wagen entgegengerast. Wie ich ihn hatte übersehen können, war mir ein Rätsel, aber ich war zu schnell, um anhalten zu können. Ich hörte einen kurzen Knall, ein lautes Knirschen und das Kreischen von Metall auf Metall. Dann schleuderte der Mini zur Seite. Der Mittelstreifen kam mit hundert Meilen in der Stunde auf uns zugerast. Und dann schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Mein Fuß trat das Bremspedal durch, aber wir schienen nicht langsamer zu werden. Ich schloss die Augen, machte mich auf den Aufprall gefasst. Und dann kamen wir ungefähr einen Meter vor der Leitplanke zum Stehen. Ich wartete darauf, dass irgendein anderer Wagen auffahren würde. Und dann brüllte Jake mich an, ich solle weiterfahren. Meine Hände zitterten, und ich hatte Brustschmerzen, weil mein Herz so hämmerte. Der Mini fuhr wieder an. Ich setzte mich auf und wechselte nach links auf den Standstreifen. Ich erwartete, dass der andere Fahrer ebenfalls halten würde, aber er war einfach weitergerast und längst außer Sicht. Mein Kopf sank auf das Lenkrad.
» Scheiße, was war das?« Ich versuchte, tief durchzuatmen, damit mein Puls sich beruhigte und ich wieder sprechen konnte. » Erst war vor mir alles frei, und dann war er plötzlich da.« Meine Stimme klang dumpf verzerrt, als spräche ich unter Wasser.
» Ich hab’s gesehen«, sagte Jake. » Der Scheißkerl hat die ganze Fahrbahn eingenommen, und dann hat er dich fast gerammt.«
Ich fuhr mir über die Augen und merkte, dass ich wieder weinte. Und dieses Wissen brachte mich dazu, noch mehr zu weinen. Jake zog ein Papiertaschentuch aus meiner Umhängetasche und gab es mir. » Soll jetzt lieber ich fahren?«
Ich nickte und kletterte auf den Rücksitz, damit er sich ans Steuer setzen konnte. Ich fühlte mich hohl und leblos und leer wie eine Stoffpuppe ohne Füllung. Ich weinte, weil wir hätten sterben können. Um Jonny. Um dich. Um alles. Aber hauptsächlich weinte ich, weil ich wollte, dass dies alles aufhörte.
Bist du jemals an einem Ort gewesen, an dem deine Gedanken versengt werden und das Gerüst deines Verstands – die Bolzen und Schrauben, die ihn zusammenhalten, und die Maschinerie, die ihn ticken lässt – demontiert worden ist? Das frage ich dich, Clara, weil ich auf primitive Art zu begreifen glaubte, was dir vor all diesen Jahren zugestoßen sein musste. In
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