zorneskalt: Thriller (German Edition)
Reinigungsmilch, Faltencreme, Handlotion, eine Kerze in einem grünen Glas, mein liebstes Toilettenwasser. Ein Parfüm: Light Blue von Dolce & Gabbana. Ein paar Tulpen in einer Vase, die nicht mehr viel Wasser enthielt. Und ein schwarz gerahmtes Foto. Ein Bild, das die sanfte Wärme eines Abends auf Ibiza eingefangen hatte. Jonny und ich trunken von Sonnenschein. Ich blinzelte. Dieses Bild kam aus meiner Erinnerung. Denn das Foto war durch ein anderes ersetzt worden, das eine Frau und ein Mädchen von sechzehn, siebzehn Jahren zeigte. Das dunkle Haar der Frau fiel ihr ins Gesicht, verdeckte ein Auge teilweise. Ihre sommersprossigen Wangen waren von der Sonne gerötet, und sie hatte Lachfältchen, die strahlenförmig von den Augenwinkeln ausgingen. Sie hatte einen Arm um das Mädchen gelegt, auf dessen Lippen ein warmes, zufriedenes Lächeln stand.
Das Mädchen neben meiner Mutter war nicht ich, sondern du. Das Foto war an einem warmen Sommertag vor zehn Jahren gemacht worden. Am Tag vor dem Tod meiner Mutter.
7 – Dezember 1993
Du kommst zum Tee zu uns, was bedeutet, dass du meine Mom kennenlernen wirst. Ich lade für gewöhnlich keine Freundinnen zum Tee ein, eigentlich gar nicht. Ich erwähne nicht, dass du eine Ausnahme bist. Ich denke, dass du das bereits weißt. Als ich dir erzählt habe, dass meine Mom nicht wie andere Moms ist, hast du nur gelächelt und gesagt: » Wenigstens hast du eine. Meine hat meinen Dad und mich verlassen, als ich ein Baby war.« Irgendwie hat das bewirkt, dass ich mich besser fühle. Noch etwas, das wir gemeinsam haben: Mütter, die uns kaputtmachen.
Wir sind außer Atem, weil wir die Ditchling Road heraufgekommen sind. Es ist März, aber alles andere als frühlingshaft, und wir kämpfen gegen den Wind an. » Wir sind fast da«, sage ich, als wir auf die Dover Road abbiegen. Ich bleibe vor einem Haus stehen und suche im Rucksack nach meinem Schlüssel.
» Ist das eures?«, fragst du.
Ich sehe auf und merke, dass wir vor Mrs. Reagans Haus stehen. Der ordentliche Garten, frisch gejätet, und die rote Haustür, von der keine Farbe abblättert, die pedantisch exakt gerafften weißen Vorhänge und die Bilderrahmen im Fenster. Ich kann nicht sehen, was für Fotos sie enthalten, ich bin noch nie in ihrem Haus gewesen, aber ich weiß, dass sie lächelnde Kinder an sonnigen Tagen zeigen. Eine glückliche Familie.
Ich schüttle den Kopf und fasse meinen Schlüssel fester. Er fühlt sich glitschig in meiner Hand an.
» Wir wohnen ein kleines Stück weiter«, sage ich.
Unsere Tür ist blau, die Farbe blättert ab. Wir haben die Hausnummer 21, aber die 2 ist abgefallen, was Briefträger und Paketzusteller manchmal verwirrt. Unsere Wohnzimmerfenster haben keine Vorhänge. Niamh findet Vorhänge spießig, deshalb hängt bei uns ein riesiges, mit Ethno-Motiven bedrucktes Baumwolltuch, das sie vor Jahren von einem Indienbesuch mitgebracht hat. Es sieht aus wie bei den Mietern der Studentenwohnungen in der Lewes Road. » Trautes Heim, Glück allein«, sage ich, als wir zur Haustür gehen.
Die Luft ist süßlich stickig. Die Häuser mancher Leute riechen nach Daz oder Weichspüler oder Lufterfrischer mit Lavendelduft, aber bei uns riecht es immer betäubend süß nach den Zigaretten, die Niamh raucht. Ich stecke den Kopf ins Wohnzimmer und sehe sie mit einem Bleistift als Haarnadel in einem Kaftan auf dem Sofa liegen. Ihre Augen sind glasig, und sie sieht zur Decke hinauf, während sie perfekte Rauchringe bläst. Manchmal glaube ich, dass ihr Gesicht mit den hohlen Wangen und den tief in ihren Höhlen liegenden Augen in sich zusammensinkt. Trotzdem ist ihre Schönheit oder zumindest der Schatten einer vergangenen Schönheit nicht zu leugnen. Im Fernsehen läuft eine Talkshow, aber sie sieht nicht hin. Ihr Arm ist ausgestreckt, die Zigarette hängt zwischen ihren Fingern. Gleich wird die Asche auf den Teppich fallen.
» Hallo, Dar ling«, sagt sie laut und ohne mich anzusehen. Du sagst nichts, aber die Gewohnheit meiner Mutter, alle Vokale endlos gedehnt auszusprechen, muss dich überraschen. Ich mache das nicht. Ich habe dir nicht erzählt, dass sie aus einer vornehmen Familie mit einem Herrenhaus und Pferden stammt, nicht wahr? Und dass sie ihrem Clan alle Erziehung und Bildung vor die Füße geworfen hat? Von Tante Laura weiß ich, dass meine Mutter ihren Eltern erklärt hat, sie brauche deren Scheißgeld nicht. Heute muss ich lachen, wenn ich an ihre Bessere-Töchter-Arroganz denke.
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