Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
zorneskalt: Thriller (German Edition)

zorneskalt: Thriller (German Edition)

Titel: zorneskalt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette McBeth
Vom Netzwerk:
hatte.
    » Musst du wirklich dort hin?«, hatte ich gefragt, obwohl es sinnlos war. » Kannst du nicht einen Dokumentarfilm in Frankreich statt in Afghanistan drehen?« Es war sein zweiter Trip in drei Monaten für Channel 4 Dispatches, um zu dokumentieren, wie Staatsbeamte sich an internationalen Hilfsgeldern bereicherten.
    » Darling …« Er stellte den Becher ab, trat hinter mich und schlang die Arme um meine Taille. Seine Worte kitzelten, als sie meinen Nacken trafen. » Ich bin letztes Mal zurückgekommen, stimmt’s?«, sagte er, als garantierte das auch diesmal seine Rückkehr. » Und ich verspreche dir, mit keinen Maskenmännern zu reden. So leicht wirst du mich nicht los. Ich versuche, Mitte der Woche anzurufen, aber gerate nicht in Panik, wenn du nichts von mir hörst, okay?«
    » Okay«, sagte ich, obwohl es das nicht war. Die fehlende Kommunikation war das Schlimmste. Nichts zu wissen, sich alles Mögliche einzubilden.
    Seine Küsse krochen über meinen Hals bis zu meinen Lippen. Ich konnte sie noch schmecken, als ich das Haus verließ, wieder mal zu spät dran.
    Freitag. Ich hatte Jonny seit Freitag nicht mehr gesehen. In dieser ganzen Zeit hatte ich mir vorgestellt, er sei Tausende von Meilen entfernt, riskiere im brutalen afghanischen Winter sein Leben. In Wirklichkeit war er in der Nähe gewesen, und ich hatte es nicht gewusst. Dieser einzelne Gedanke quälte mich am meisten.
    Habe ich dir jemals erzählt, wie ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, Clara? Ich stehe an der Bushaltestelle Ladbroke Grove. Ich bin mit Freunden aus der Arbeit im Electric gewesen und leicht betrunken, aber nicht so betrunken, dass ich die Kälte nicht spüre, denn ich spüre die Kälte sehr wohl, und ich spüre den Regen, der an das Bushäuschen klatscht. Ich warte auf die Nummer 138, aber sie kommt nicht, ewig nicht.
    Ich nehme ihn anfangs gar nicht wahr, ich bin zu sehr damit beschäftigt, den Kopf zu schütteln und halblaut über den Scheißregen und den Bus zu fluchen, und dann drehe ich mich schließlich um und sehe ihn dort stehen: lächelnd, wie um zu sagen, es ist nur ein Bus, es ist nur Regen. Es ist das Lächeln, das Gesicht, alles, einfach alles, das mich magisch anzieht. Ich denke, ich könnte es ewig ansehen und immer noch mehr wollen. Ich weiß nicht mehr, wie wir ins Gespräch kamen oder wer was als Erstes sagte, weil ich das Gefühl habe, wir hätten schon unendlich viel miteinander gesprochen.
    Nach einiger Zeit will ich gar nicht mehr, dass der Bus kommt. Ich will bei Kälte und Regen in dem Bushäuschen bleiben und die ganze Nacht lang mit diesem Mann mit dem Lächeln reden. Mein Haar gleicht Rattenschwänzen, und meine Wimperntusche ist zerlaufen, aber das spielt alles keine Rolle. Es geht nur um ihn und mich und die vor uns liegenden Möglichkeiten. So schnell ist es gegangen, Clara, blitzschnell.
    In der Nachrichtenredaktion roch es nach abendlichen Fertiggerichten aus der Mikrowelle und übermüdeten Kollegen von der Nachtschicht. Auf den Schreibtischen leere Chipstüten neben halb leeren Teebechern – ein bewusster Verstoß gegen die laminierten Schilder mit der Mahnung, jeder solle seinen Platz aufgeräumt hinterlassen. Zeitungen stapelten sich auf Schreibtischen und auf dem Fußboden, dazu der Lärm, das Stimmengewirr, die endlos klingelnden Telefone. Leute telefonierten schreiend wegen Kamerawagen und Schlagzeilen und Clips für Pakete und die Ärsche, die mal wieder geschlafen haben. Sie knallten Telefonhörer auf die Gabel, nahmen sie wieder ab und verzichteten grundsätzlich darauf, Hallo oder Auf Wiederhören zu sagen.
    Durch dies alles watete ich wie durch Sirup, bewegte mich langsamer als alle anderen. Zu Hause zu bleiben – in der Wohnung, die ich mir mit Jonny teilte, von seinen Sachen umgeben, die mich alle schmerzlich an seine Abwesenheit erinnerten – war nicht möglich gewesen. Mein Kopf wiederholte gebetsmühlenartig dieselben Fragen: Wohin ist er gefahren? Warum hat er das Flugzeug nicht genommen? Wo ist er jetzt? Ich brauchte Ablenkung, suchte Normalität, aber als ich die Redaktion betrat, merkte ich, dass meine Gedanken mich verfolgten, wohin ich auch ging.
    Ich warf meine Tasche auf den Schreibtisch, was Jake erschreckte. Er drehte sich nach mir um.
    » Himmel«, sagte er und betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen, » schlimme Nacht gehabt?«
    Ich nahm einen alten Brief von meinem Schreibtisch und gab vor, ihn zu lesen.
    » Kaffee?«, fragte ich irgendwann.
    Er nickte.

Weitere Kostenlose Bücher