zorneskalt: Thriller (German Edition)
» Ich komme mit.«
Auf dem Weg durch den Raum sprach er über einen großen Prozess, der kommende Woche beginnen würde, über einen Film zu den Hintergründen, über einzuplanende Interviews. Das weiße Rauschen seines Geplappers bohrte sich in mein Gehirn. Ich nickte und sah zu der Wand mit den Bildschirmen hinüber, um mich abzulenken. Das Bildmaterial kam von verschiedenen Orten im In- und Ausland. Ein Monitor zeigte Soldaten im Irak, ein anderer Ausschnitte aus Fußballspielen vom Vorabend. Und dann ein Platz in Brighton. Wo du wohnst, Clara. Dein Haus. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Selbst wenn ich dein Gesicht nicht sah, konnte ich dich nicht vergessen.
Auf einem anderen Bildschirm sah ich Jane Fenchurch, eine unserer Neuen, die sich darauf vorbereitete, auf Sendung zu gehen, und das Kameraobjektiv als Make-up-Spiegel benutzte, ohne zu ahnen, dass die halbe Redaktion ihr dabei zusehen konnte. Sie schien in einer Höhle zu stehen, war in unheimliches orangerotes Licht getaucht und trug eine geschmacklose Pelzjacke mit Leopardendruck.
» Ach du Scheiße«, sagte Jake, der auf denselben Bildschirm sah. » Das wird Robbie gefallen.«
In der Kantine herrschte reger Frühstücksbetrieb: Leute standen am Toaster an, stopften sich Croissants in den Mund oder wässrige Bohnen mit Schinken. Ich sah, wie die junge Frau von Online, die sich nie die Haare wusch, sich über einen Kessel mit Porridge beugte, seine Konsistenz im Schöpflöffel prüfte und den Kopf schüttelte. Dieses Zeug wollte nicht mal sie essen. All diese Gerichte, die unter Warmhaltelampen gerannen, auf die geatmet und gehustet wurde, die umgerührt und betastet wurden … Davon drehte sich mir der Magen um. Trotzdem wusste ich nicht mehr, wann ich zuletzt etwas gegessen hatte, also schnappte ich mir einen in Zellophan verpackten Muffin. Sauber, steril.
An der Rückwand der Kantine stand ein kleiner Fernseher, der ohne Ton lief. Unter der Schlagzeile » EILMELDUNG : England im Griff des Winters« wurden Bilder von stecken gebliebenen Autos und rodelnden Kindern gezeigt.
» Eilmeldung, dass ich nicht lache«, sagte Jake.
Wir setzten uns an einen freien Tisch, von dem ich die Krümel mit meiner Serviette wegwischte. Mein Kaffee war noch zu heiß, deshalb rührte ich ihn um, rechts herum, links herum, hinterließ dunkle Spuren im Milchschaum und wich Jakes Blick beharrlich aus. Ich spielte auf Zeit, überlegte angestrengt, übte schon mal, was ich sagen wollte. Oh, weißt du übrigens, Jake, dass diese junge Frau, die vermisst wird, eine alte Freundin von mir ist und mein Freund zuletzt mit ihr zusammen war? Mehr Zucker? Sollte ich die Bombe bei Kaffee und Croissants in der Kantine platzen lassen?
Aber er kam mir auf halbem Weg entgegen.
» Sooo …«, sagte er. Sein Mund bildete ein großes O. » Bevor dieses Auto uns fast gerammt hat, wolltest du mir etwas erzählen.«
» Meinst du?«, fragte ich und sah endlich auf. Er saß zurückgelehnt da und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, sodass zu erkennen war, wie die Armmuskeln sich unter seinem kurzärmligen T-Shirt streckten. Die widerborstige Heizungs- und Klimaanlage bei NNN zwang uns dazu, Sommersachen zu tragen, wenn draußen Winter herrschte, und umgekehrt.
» Komm schon, Rachel, ich beiße nicht«, sagte er. » Geht es um Jonny? Alles okay mit euch beiden?«
Darüber musste ich lächeln – dass er dachte, wir hätten Streit oder uns getrennt. Wie harmlos das gewesen wäre. So gewöhnlich und leicht zu beheben.
» Ja und nein.« Dann schloss ich die Augen und sprang ins kalte Wasser. » Ich weiß nicht, wo er ist.«
Er kniff die Augen zusammen, machte ein überraschtes Gesicht. » Ich dachte, er dreht in Afghanistan? Dass man dort niemanden erreichen kann, das weißt du doch.« Er gab sich Mühe, aber er wusste, dass mehr dahinterstecken musste. Auf seinen Lippen stand ein halbes Lächeln.
» Nick, sein Freund, sein Kollege, hat letzte Nacht angerufen. Jonny hat seinen Flug verfallen lassen.«
» Oh.« Das war alles, was Leuten zu dem einfiel, was ich sagte. » Das verstehe ich nicht.«
» Das sollst du auch nicht, ich soll’s auch nicht. Alles ist irgendwie unklar und verdreht, und ich kann nicht sehen, was hier vorgeht, ich sehe überhaupt nichts …« Meine Hand schlug auf den Tisch, ließ die Kaffeetassen klirren.
Und dann lag seine Hand auf meiner, hielt sie umfasst.
» Schon gut, es ist okay. Ihm fehlt nichts, er ist nur ein, zwei Tage fort, er taucht schon
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