zorneskalt: Thriller (German Edition)
mich auf und sehe zu, wie du dich drehst und die Arme im Takt der Musik bewegst. Deine Arme und Beine scheinen endlos lang und schlank und glatt. Du bist ein Energiebündel, das Funken sprüht und die Atmosphäre meines Zimmers elektrisch auflädt. Du bist alles, was ich nicht bin, und ich kann den Blick nicht von dir abwenden.
Als der Song zu Ende ist, verbeugst du dich.
Ich klatsche wie verrückt. » Zehn!«, rufe ich. » Bravo!«
Fünf Minuten später klopft Niamh an meine Tür. Sonst klopft sie nie an. Aber diesmal wartet sie sogar, bis ich die Tür öffne. Ihre Augen sehen neblig aus und sind gerötet, wahrscheinlich vom Zigarettenrauch. » Dein Dad ist da, um dich abzuholen«, sagt sie und sieht dich an. Ihre Wangen brennen. Zu viel Wein. Dabei ist es gerade erst sechs Uhr.
Du schnappst dir deinen Rucksack, und wir gehen gemeinsam nach unten. Doch dein Dad ist nicht da.
» Er wartet im Auto auf dich«, erklärt Niamh.
Ich sehe hinaus und versuche, einen Blick auf deinen Dad in seinem Auto zu erhaschen, doch er hat den Kopf abgewandt.
Du bedankst dich bei Niamh für die Einladung, obwohl sie überhaupt nichts gemacht hat. Es folgt ein peinlicher Augenblick, in dem ich fürchte, dass sie dich zum Abschied küssen will, doch dann wird draußen gehupt, und du läufst hinaus.
» Bis morgen, Rachel!«, rufst du über die Schulter.
Als ich die Haustür schließe, sehe ich Niamh davongehen. Ihre Schritte, klein und schlurfend, tragen sie in die Küche zurück. Sie nimmt eine Weinflasche aus dem Kühlschrank und gießt sich ein großes Glas voll. Es zittert, als sie es an den Mund führt und wie ihr morgendliches Vimto einfach so hinunterkippt. Sie sieht sich nicht nach mir um, sie starrt nur blicklos geradeaus.
8
Wie geht man unbemerkt durch Mauern? Durch versperrte Türen und Fenster, um sich widerrechtlich etwas anzueignen und wieder zu verschwinden, ohne gesehen zu werden? Diese Gedanken krochen durch meinen Kopf, ließen meinen Körper erzittern. Ich wusste keine Antwort. Die Realitäten überlagerten einander wie unheimliche, durch Drogen ausgelöste Halluzinationen.
Das Foto von Jonny und mir zu finden hätte geholfen. Es mit eigenen Augen zu sehen. Zu wissen, dass ich nicht nur davon geträumt hatte. Ich lief durch die Wohnung, riss die Archivboxen mit den weißen Etiketten heraus und Schubladen auf. Ich wollte die weißen Wände einschlagen und den Fußboden aufreißen, nur damit das vor mir Verborgene sich endlich zeigen konnte. Aber meine Mühen waren vergebens. Die Aufnahme war verschwunden, in den Äther gesaugt. Genau wie du.
Ich saß im Schlafzimmer auf dem beigefarbenen hochflorigen Teppich und betrachtete die Unordnung. Ich hatte meine eigene Wohnung verwüstet, und nun konnte ich den Anblick nicht ertragen. Mir schwindelte vor dem Chaos. Ich glaubte zu implodieren. Ich musste mich irgendwo verstecken, um sicher zu sein. Ich zog die Tür von Jonny Kleiderschrankhälfte auf und drängte mich zwischen seine Hemden. Eines davon rutschte vom Bügel, und ich wickelte mich darin ein. Es war Nacht, still und dunkel. Ich schloss die Augen und hoffte und hoffte, wünschte und wünschte mir, wenn ich morgens aufwachte, würde das Hemd mit Knochen und Muskeln und Sehnen ausgefüllt sein, die Brust würde sich von Atemzügen heben und senken, und die Arme würden mich umschließen und nie wieder loslassen.
Es war kurz vor Tagesanbruch, und schmutzig graues Licht erfüllte den Raum. Ich hatte das Gefühl, als einziger Mensch der Welt wach zu sein. Alles war stumm und still, als wartete der Tag dort draußen darauf, dass jedermann sonst erkannte, dass er bereit war.
Ich war im Kleiderschrank, war darin eingeschlafen, hatte verdrehte, schmerzende Glieder. Mein Körper wollte sich bewegen, sich strecken, aber ich brachte nicht die Energie dafür auf.
Dann – das Klingeln eines Telefons. Mein BlackBerry. Dieses Geräusch, sonst am frühen Morgen so unwillkommen, elektrisierte mich förmlich. Ich sah das Handy blinkend auf meinem Bett liegen. Ich war mit einem Satz aus dem Schrank, um danach zu greifen. Meldete mich. Suchte die richtigen Worte und fand sie dann.
» Jonny«, rief ich, » bist du’s?«
» Rachel?« Eine Männerstimme, südlich gefärbt wie Jonnys und ebenso tief. Ich ließ mich einen Augenblick lang täuschen.
» Jonny?« Eine kurze Pause, dann wusste ich’s. Ich wusste es.
» Rachel, hier ist Nick.«
» Oh …«, sagte ich. Mehr brachte ich nicht heraus.
» Hör zu, tut mir leid,
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