zorneskalt: Thriller (German Edition)
meine, ich hab’s noch vor der Sendung versucht, aber …« Ich verstummte. Meine Entschuldigung klang hohl. Ich habe unter Schock gestanden – das wäre solch ein Klischee, solch eine Gefängnis-Ereigniskarte gewesen. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, das zu sagen.
Robbie hörte ohnehin nicht zu. Wie ein Raubtier, das sein Opfer taxiert, war sein Blick mit glasiger Konzentration auf irgendetwas jenseits des Besprechungsraums gerichtet. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder mir zu.
» Weißt du, ich denke ja, Rachel, dass ich eine Scheißreporterin gehabt habe, die in den verdammten Nachrichten über Ermittlungen berichtet und im nächsten Augenblick der Polizei geholfen hat. Ich denke an Zeitungen, Schlagzeilen, erste Seiten. Ich denke daran, wie sie sich daraufstürzen würden.« Er wischte sich den Schweißfilm von der Stirn.
Ich unterdrückte ein Lächeln, indem ich zu gähnen vorgab. Jeder andere hätte mir einen Vortrag über Berufsethos, Interessenkonflikte und darüber gehalten, dass man nie Teil der Story werden durfte. Aber Robbie kam aus der Gosse, war ein Redakteur der alten Schule, der für eine Story alles tat, wenn er glaubte, damit durchkommen zu können. Ich wusste, was als Nächstes kommen würde.
» Die Story musst du abgeben«, sagte er. » Ich erzähle keinem, warum, das geht sie nichts an.«
Ich wusste, dass das unvermeidbar war. Ich konnte über keine Geschichte berichten, an der ich selbst beteiligt war. Aber trotzdem hasste ich die Vorstellung, dass Robbie sie mir entwand, dass irgendein anderer Reporter so tat, als kennte er Jonny und dich, und der Welt von deinem Charakter, deiner Vergangenheit erzählte. Ich wollte, dass Robbie erkannte, was er verlor. Ich wollte, dass er sich seine Entscheidung nicht ganz so leicht machte.
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. » Du hast recht«, sagte ich nickend, » vor allem jetzt, wo die Polizei mich ins Vertrauen zieht, darf ich keinen zu engen Kontakt mit der Story haben, so frustrierend das auch für mich ist.« Ich lächelte schwach und wartete.
Ein Herzschlag, ein Aufblitzen in seinen Augen, dann war es verschwunden. Er versuchte, ein mitfühlendes Gesicht zu machen, sah dabei aber aus, als versuchte er, einen Furz zu unterdrücken.
» Rachel, ich möchte, dass du weißt, wie leid es mir tut, dass sie deine Freundin ist. Ich hoffe, dass sie bald gefunden wird«, sagte er. Ich wusste, dass er noch nicht fertig war. » Und … äh … die Polizei, sagt sie viel?«
» Ein bisschen«, sagte ich und beugte mich so weit zu ihm hinüber, dass ich den abgestandenen Kaffee in seinem Atem riechen konnte. » Mehr als nur das.«
Er grinste, sabberte fast wie ein Hund, der einen Leckerbissen entdeckt hat.
» Also …« Das Wort pfiff durch seine Zähne. » Irgendwelche Spuren?«
Ich machte eine Pause, wählte meine Worte mit Bedacht und schüttelte langsam den Kopf. » Sie haben ein paar recht vielversprechende«, antwortete ich und sah, wie er mit offenem Mund darauf wartete, dass ich auspackte. » Aber wie du selbst sagst, Robbie, muss ich Abstand wahren.«
9
Das National News Network behauptete, stets » das Erste mit den Nachrichten« zu sein – ein Motto, das sein Reporterteam zu Robbies Verbitterung immer wieder widerlegte. Aber wenn es darum ging, Klatsch zu verbreiten, waren meine Kollegen unübertroffen. Höchstwahrscheinlich blieben mir ungefähr fünf Minuten, nachdem ich den Besprechungsraum mit Robbie verlassen hatte, bevor die Redaktion von Gerede über mich, über dich, summte.
Im Allgemeinen sind Redaktionen nicht besonders gut, wenn es um Mitleid oder Mitgefühl geht – und das Letzte, was ich wollte, waren unbeholfene Umarmungen von Jenny aus den Finanzen oder mitfühlendes Getätschel vom lüsternen Ian, der das Mittagsmagazin verantwortete. Aber ich wusste, dass sie mich mittags bei ihren Chili-Ofenkartoffeln und Thunfisch-Wraps durchhecheln und nach der Arbeit im Duke of Cambridge linke Witze über mich reißen würden. Das Geflüster, das Starren, das Wissen, die Story geworden zu sein – ich konnte einfach nicht herumsitzen und darauf warten. Stattdessen ging ich an meinen Schreibtisch, rief im Computer die Liste laufender Projekte auf und suchte eine Beschäftigung. So stieß ich auf Ann Carvellos Namen. Sie hatte zu so vielen Leuten Nein gesagt. Auch schon zu mir, aber davon hatte ich mich noch nie bremsen lassen.
» Falls jemand fragt«, sagte ich zu Jake, als ich nach meiner Tasche griff,
Weitere Kostenlose Bücher