zorneskalt: Thriller (German Edition)
isolierende Stille. Du könntest von Menschen umgeben sein, aber in Wirklichkeit bist du allein, du ertrinkst, gehst unter, verschwindest. Du wirst angegriffen, aber niemand kommt dir zu Hilfe, als existiertest du gar nicht.
Genauso war es hier. Wieder und wieder dieselben Fragen. Was hatte ich dir angetan? Wohin waren wir gegangen, nachdem wir uns auf der Promenade begegnet waren? Weshalb hatte ich dich ermordet?
» Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich ins Ship Hotel gegangen bin. Clara habe ich nicht gesehen und Jonny auch nicht. Ich habe niemanden gesehen«, sagte ich mit der Stimme einer Fremden. Die Tonhöhe, der Tonfall, beide seltsam verändert. Aber ich wusste, dass ich ohne Pause weiterreden musste, denn sonst würden sie die Kontrolle wieder an sich reißen und mich erneut mit Salven von Fragen befeuern. » Die Überwachungskamera beweist, dass ich nicht zurückwinke. Ich winke nicht, stimmt’s? Haben Sie sich schon mal überlegt, dass ich das wahrscheinlich tue, weil ich nicht wusste, dass sie in der Nähe waren? Ist das nicht die einzig logische Erklärung?«
» Sollen wir allen Ernstes glauben, dass Sie nicht merken, wie Ihre beste Freundin Ihnen aus nicht mal hundert Metern Entfernung hinterherruft, und dass Sie einfach weitergehen?«
Kirstin Taylor, die bisher nichts Nützliches gesagt hatte, fand plötzlich die Stimme wieder. » Ich vermute, dass es Aufnahmen von weiteren Überwachungskameras gibt – können wir also Rachel sehen, bevor sie hier erscheint?« Ganz cool und nüchtern. Ihr Gesichtsausdruck verriet nicht, was sie dachte.
Ich wartete mit hämmerndem Herzen, dann sah ich etwas in DCI Gunns Blick, das mir einen Funken Hoffnung gab. Er wandte sich DS Tomey zu, und ich sah, wie sie kaum merklich den Kopf schüttelte.
» Wir haben keine«, sagte sie, diesmal ohne Trällern in der Stimme.
Noch vor wenigen Augenblicken hatte sie mit vor Stolz geschwellter Brust dagesessen, war so zufrieden mit sich gewesen, und nun wirkte sie deutlich geschrumpft.
Ich saß bewegungslos da, konzentrierte mich auf meinen Atemrhythmus, der jetzt weniger hektisch war.
» Die andere Kamera war außer Betrieb.«
» Hmmm«, sagte Kirstin Taylor. » Dann ist das hier«, und sie tippte mit ihrem Parker-Füller auf den Ausdruck, » das einzige Bild, das Sie von Rachel und Clara haben?«
» Richtig.«
» Und es zeigt lediglich, dass sie beide auf der Uferpromenade waren, korrekt?«
» Keine hundert Meter voneinander entfernt«, sagte DCI Gunn. » Wann sind Sie ins Hotel gekommen, Rachel?«
Er gibt nicht auf, dachte ich. Er wird’s irgendwie schaffen, mir das anzuhängen.
» Gegen halb zwei, aber das weiß ich nicht bestimmt.«
» Um 1.27 Uhr, wie aus den Unterlagen des Hotels hervorgeht.« Ich fuhr unwillkürlich zusammen. Sie hatten also längst gegen mich ermittelt. » Diese Angabe stimmt mit der Überwachungskamera in der Hotelhalle überein. Sie haben die Cantina Latina also gegen elf verlassen, haben auf dem Pier Pommes gekauft und waren dann auf der Promenade unterwegs, wo die Kamera Sie um 23.41 Uhr erfasst hat. Wollen Sie behaupten, dass Sie fast zwei Stunden gebraucht haben, um nachzusehen, ob Clara zu Hause war, und anschließend ins Hotel zu gelangen? Oder haben Sie in der Zwischenzeit noch etwas anderes gemacht?«
Ich betrachtete DCI Gunns Gesicht. Das entschlossen vorgereckte Kinn, die spitze Nase, mit der er einen Fisch hätte harpunieren können, die von Sonnenmangel graue Haut und diese braunen Augen, kalt und forschend. Verschwunden war der Poacher’s Choice trinkende Roger mit dem geröteten Gesicht und den blitzenden Augen, wenn er Andeutungen über laufende Ermittlungen machte. Alle Verbindungen, die wir knüpfen, alle Beziehungen, die wir pflegen, zählen letztlich nichts. Jeder ist ein Fremder.
Die Fragen kamen weiter hageldicht, schwirrten durch den Raum. Eine nach der anderen, keine Zeit, sie zu beantworten, keine Antworten, die ich hätte geben können. Ich hätte genug Zeit gehabt, dich zu ermorden – das sagten sie so oft, dass ich’s fast selbst glaubte. Und Jonny, bekam er mit, was ich dir antat? Und verübte er anschließend Selbstmord?
Ich spielte in einem Kriminalfilm mit und sehnte mich danach, den harten Schlag der Klappe zu hören, die das Ende des Drehs verhieß. Aber er kam nicht. Das Verhör ging endlos weiter. Jede Minute länger war eine Qual, die grauen Wände engten mich immer mehr ein, während ich vor Angst immer kleiner wurde.
Ich habe keine Ahnung, wie
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