zorneskalt: Thriller (German Edition)
spät es war, als die Fragen endlich aufhörten. Aber ich weiß noch, dass ich das Gefühl hatte, sterben zu müssen, weil ich keinen Schlaf bekommen hatte, weil die Müdigkeit sich wie scharfe Glassplitter in mein Gehirn bohrte und hinter den Augäpfeln brennende Schmerzen hervorrief.
Ich konnte spüren, wie der Schmutz auf meiner Haut kribbelte wie Läuse. Mein Mund war trocken, der Atem vor Angst und vom vielen Reden schlecht, und ich hatte das Gefühl, mit einer Schmutzschicht bedeckt zu sein, wie sie sich auf Flughäfen von aufbereiteter Luft und Körperwärme an einem festsetzt, nur viel, viel schlimmer. Ich wollte das Polizeirevier verlassen und weglaufen und erst wieder haltmachen, wenn Himmel und Meere und Länder zwischen mir und dir und ihnen lagen.
Zuletzt ließen DCI Gunn und DS Tomey Kirstin und mich im Vernehmungsraum allein. Sie erklärte mir wie einem Kind, dass die Polizei nur Indizienbeweise habe. » Es sieht nicht gut für sie aus«, sagte sie in einem Tonfall, der mich vermuten ließ, dass sie mich für die Täterin hielt, die aber wahrscheinlich damit durchkommen werde. Aber scheiß auf deine Indizienbeweise. Ich hatte erlebt, wie Angeklagte in reinen Indizienprozessen verurteilt worden waren. Letztlich kommt’s darauf an, w er ü berzeugender wirkt: der Ankläger oder der Angeklagte.
Ich stieß einen lauten, frustrierten Seufzer aus und ließ den Kopf in die Hände sinken. So verharrte ich, bis die Tür wieder geöffnet wurde. Als ich aufsah, kamen DCI Gunn und DS Tomey zurück.
» Wir entlassen Sie gegen Kaution«, sagte DS Tomey. Sie machte ein Gesicht, als bedaure sie jedes Wort, was sie bestimmt tat.
» Wie bitte?«, fragte ich. Ich schüttelte den Kopf, als ließen sich so alle übrigen Gedanken vertreiben, damit ich ihre Worte genießen konnte. Zugleich spürte ich, wie sich ein Lächeln über mein Gesicht ausbreitete. Es ließ sich nicht unterdrücken. Am liebsten hätte ich vor Erleichterung geweint.
» Sie kommen gegen Kaution frei, das ist alles«, sagte Kirstin. Ihr Make-up konnte ihr Stirnrunzeln nicht verbergen.
» Danke.« Ich lächelte sie an.
Der Sergeant, der mich aufgenommen hatte, erklärte mir die Bedingungen für meine Entlassung: Ich musste mich in vier Wochen zur nächsten Vernehmung auf dem Polizeirevier Brighton einfinden und durfte meine Wohnung abends nicht verlassen, was bedeutete, dass ich nicht zu Jake flüchten konnte. Dann gab er mir lächelnd meine Sachen zurück. Ich hielt ihn für freundlich, bis er die Hand hob und nach draußen auf den Parkplatz zeigte. » Ihr Publikum erwartet Sie«, sagte er.
Ungefähr fünfzehn Meter von der Drehtür entfernt stand ein Wall aus Fotografen, Reportern und Kameracrews. Als sie mich sahen, hoben sie ihre Kameras wie zum Gruß, nahmen Haltung an, warteten auf ihre Chance, zum Schuss zu kommen. Ich suchte meine Sachen zusammen, fuhr mir aus alter Gewohnheit mit einer Hand übers Haar und betrachtete mein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Eine Art grausige Halloween-Version meiner selbst starrte mich an.
Eine jüngere Produzentin in blauer Fleecejacke, die ich von Global kannte, lungerte in der Nähe der Drehtür herum, und als sie sah, dass ich gleich herauskommen würde, rief sie der Meute zu: » Es geht los!«, als sei ich die Hauptattraktion, was ich vermutlich war.
Weil auf dem Polizeigelände weder gefilmt noch fotografiert werden durfte, konnte ich mich etwa zwanzig Schritte weit frei bewegen, aber dann gab es nur noch ein Meer aus Kameramännern und -frauen und Fotografen und Reportern, die meinen Namen riefen.
» RACHEL , RACHEL , RACHEL !«
Klick, klick, klick, ein Blitzlichtgewitter und Fernsehkameras, die um die besten Plätze rangelten. Ich hob einen Arm vors Gesicht – nicht um es zu verdecken, sondern um mich davor zu schützen, von einer Kamera gestreift zu werden. Und als Schutz gegen die Fotoblitze, die mich blendeten. Ich spürte, wie ich fast den Boden unter den Füßen verlor, als ich mitten in die Meute geschoben und gestoßen wurde.
» Rachel, Rachel!«, riefen die Reporter. » Was haben Sie uns zu sagen? Warum sind Sie verhaftet worden?« Alle möglichen Stimmen und Akzente konkurrierten mite in ander, bis sie zu Hintergrundrauschen verschwammen.
Irgendwie wurde ich auf eine Stimme aufmerksam, die ganz aus der Nähe kam, mir fast ins Ohr sprach. » Rachel, hast du deine Freundin ermordet?« Diese Stimme, diesen arroganten Tonfall kannte ich. Ich hob den Kopf und sah sein Gesicht. Richard
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