Zu einem Mord gehoeren zwei
den Eltern.
Sie saß seit etwa einer halben Stunde im Wilmersdorfer Volkspark, der sich schmal und kilometerlang durch die Innenstadt zog, und langweilte sich. Seit sie allein war, hatten die Tage keinen Sinn mehr. Es gab für sie nichts zu tun als zu warten, zu warten auf einen Wendepunkt, ein Ereignis, das wieder Probleme und wieder ein Ziel für sie schaffte. Sie wurde älter, ihr Leben versickerte, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie war funktionslos geworden für andere Menschen und für die Gesellschaft, in der sie lebte. Schön, sie konsumierte noch in beträchtlichem Maße und förderte damit Handel und Wirtschaft, aber das war auch alles. Wäre sie in dieser Sekunde gestorben, hätte das keinen Menschen sonderlich berührt. Sie dämmerte dahin, Tag für Tag. Das Geld, das sie zum Leben brauchte, bekam sie am Monatsende auf ihr Konto überwiesen; sie hatte mehr als genug geerbt, um von Mieteinnahmen und Zinsen leben zu können. Außerdem war sie mit einer namhaften Summe als Kommanditistin an der Firma Gustav Tomaschewski beteiligt, aber die hatte ja im Augenblick keinerlei Gewinne zu verteilen. Ihre Wohnung wurde von einer emsigen Witwe besorgt, die für sie kochte und ihr alle Besorgungen abnahm. Ja, sie hätte das Leben eines Playgirls führen können – jung genug war sie wohl noch und attraktiver als manches Starlet; sie hätte sich ohne weiteres im Jet-Set etablieren und die Männer nach Herzenslust vernaschen können, aber sie haßte die Menschen im allgemeinen und die Männer im besonderen. Hätte sie die Macht dazu gehabt, sie hätte alle Atombomben, die in den Schächten lagerten, noch in dieser Sekunde explodieren lassen.
«Guten Tag, Frau Tomaschewski!» Eine etwas verwachsene Nachbarin grüßte herüber.
Verdammte alte Ziege! Aus ihrem Mund hörte sich der Name Tomaschewski noch scheußlicher an, als er ohnehin schon war. Sie lispelte nämlich. Susanne hätte sie immerzu ohrfeigen können.
Gott sei Dank, nach der Scheidung konnte sie wieder ihren Mädchennamen annehmen. Sonnenberg. Das klang wesentlich besser. Aber noch sträubte sich ja Tomaschewski gegen die Scheidung. Wahrscheinlich hatte er Angst, daß sie ihr Geld aus der Firma nahm… Er glaubte doch nicht im Ernst, daß sie noch einmal mit ihm zusammen leben würde?
Es war merkwürdig; immer wenn sie an ihn dachte, war er für sie Tomaschewski und nicht Hans-Joachim oder Hajo. Es war ihr durchaus bewußt, daß ihr Leben sich auch jetzt noch ausschließlich um Tomaschewski drehte. Aber sie zitterte nicht mehr mit ihm, wenn es um einen großen Auftrag ging, sie litt nicht mehr mit ihm, wenn seine Galle wieder einmal streikte, sie schrieb ihm keine rosaroten Briefchen mehr, er möge doch die Besprechung abbrechen und schnell nach Hause kommen – sie haßte ihn nur noch und malte sich aus, wie sie ihn am besten vernichten konnte. Allein solche Gedanken gaben ihren Tagen noch einen gewissen Sinn. Schön; ab und zu übersetzte sie ein paar Kurzgeschichten für eine recht unbedeutende Tageszeitung – sie hatte einmal einige Semester Englisch studiert –, aber das war auch alles.
Und ihre sogenannten Freundinnen? Die waren einfältig, lesbisch, exaltiert oder dekadent.
Mein Gott, wieviel Zeit war schon vergangen, seit sie sich von Tomaschewski getrennt hatte! Sie kam sich plötzlich alt vor, verbraucht, unendlich schlaff.
Eine schwarzglänzende Amsel hüpfte über den Weg. Keinen halben Meter von ihr entfernt verharrte sie. Die Federn glitzerten in der Sonne, die dunklen Knopfaugen blickten erwartungsvoll.
Doch sie stampfte nur mit dem rechten Fuß auf den Boden, und das erschrockene Tier huschte ins Gebüsch zurück. Solche idyllischen Szenen regten sie auf, taten ihr weh. Sie erinnerte sich nur zu genau, wie sehr Jens Amseln gemocht hatte. Einmal hatte er eine mit gebrochenem Bein gesundgepflegt.
Sie konnte sich genau vorstellen, wie er jetzt ausgesehen hätte. Ein hochaufgeschossener Junge, kräftig, aber mit einem weichen, etwas verträumten Gesicht. Elf Jahre alt. Sicherlich würde sie jetzt mit ihm im Wannsee herumschwimmen. Man hätte ihn zu einer so jungen Mutter beglückwünschen können.
Aber Tomaschewski hatte ja alles zerstören müssen!
Susanne blickte auf ihre Armbanduhr. Zehn vor zwölf. Es war langsam Zeit, nach oben zu gehen und zu essen. Die alten Damen, die auf den anderen Bänken hockten und schwatzten, sahen zu ihr herüber, als sie aufstand, den sehr kurzen Rock zurechtstrich und wegging. Sie tuschelten hinter
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