Zu einem Mord gehoeren zwei
die Haustür hinter sich zuschlagen lassen, da sah sie John Shaeffy aus einem Taxi steigen.
Shaeffy war ein kompakter, ja, bulliger Mann mit einem kleinen Kopf und fliehender Stirn. Er erinnerte sie irgendwie an einen Pinguin. Zu diesem Bild paßten auch sein watschelnder Gang und sein schwarzer Anzug. Er blieb stehen, um auf Susanne zu warten.
Susanne hatte ihn etwas schlanker und vor allem männlicher in Erinnerung. Vielleicht war er verpflichtet, als Chef einer Kette von Supermärkten fett und jovial zu sein. Es gefiel ihr gar nicht, daß er sie musterte wie eine Prostituierte. Hoffentlich will er nichts von mir, dachte sie.
«Hallo, Sue!» rief er ihr zu.
«Hallo, John!»
Er küßte sie auf die linke Wange, und sein aufdringliches Rasierwasser reizte ihre Nase.
«Bezaubernd!» rief er. «Kind, du siehst bezaubernd aus!» Er trat einen Schritt zurück wie ein Modeschöpfer und sah mit Entzücken, wie sie ihr kupferfarbenes Haar mit einer anmutigen Bewegung ihres Kopfes nach hinten warf.
«Gehen wir nun essen?» fragte Susanne. Erwartete er etwa, daß sie ihn mit nach oben in ihre Wohnung nahm?
«Aber ja! Ich lade dich natürlich ein. Hier in der Nähe ist eine nette Pizzeria.»
Sie stiegen in das Taxi, das auf seine Weisung hin gewartet hatte, fuhren die öde Bundesallee hinunter, sprachen über das Wetter, die Sehenswürdigkeiten Berlins, die Schwierigkeiten bei der Führung von Supermärkten und vor allem über Ernestine, seine zweite Frau, die in New York geblieben war, um auf das Geschäft aufzupassen. Susanne erfuhr auch, daß er zwei Wochen in Garmisch-Partenkirchen zugebracht hatte und nur für ein paar Tage nach Berlin gekommen war, um alte Erinnerungen aufzufrischen. Und natürlich auch, um sie zu sehen.
Während des Essens – sie hatten sich beide eine Pizza mit Champignons bestellt – kam Shaeffy auf seinen Neffen und ihre Ehe zu sprechen. Susanne betrachtete die vorbeiziehenden Fußgänger und hörte ihm kaum zu. Warum saß sie eigentlich hier?
«Wollt ihr euch wirklich scheiden lassen?» fragte Shaeffy, während er mit kindlicher Freude in seiner Pizza herummanschte. Der Lapislazuli, der goldgefaßt an dem kleinen Finger seiner rechten Hand steckte, schimmerte im Lampenlicht.
«Wir…?» fragte sie zurück und hatte im ersten Augenblick die Frage gar nicht verstanden. Seine Altersflecken werden immer größer, dachte sie. «Sicher werden wir uns scheiden lassen… Wir leben ja schon seit Januar getrennt.»
«Getrennt von Tisch und Bett», murmelte er mit einer deutlichen Freude an Phrasen. «Aber ihr könntet doch wieder Kinder haben…»
«Ehe es dazu käme, hätte ich ihm den Hals umgedreht!»
Er schwieg, verwirrt, von ihrer plötzlichen Feindseligkeit getroffen wie von einem Faustschlag. Er erinnerte sich nur ungenau, was sich vor zwei Jahren im Februar abgespielt hatte. Sie sah es ihm an, wie intensiv er darüber nachdachte.
Susanne hätte ihm auf die Sprünge helfen können, aber sie sprach nicht gern über den Tag, der den entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens markierte. Von da ab war es mit ihr und ihrer Ehe bergab gegangen. Für sie war Tomaschewski der Mörder ihres Kindes. Es war ein Tag, dessen Ablauf sie noch immer in allen Einzelheiten wiedergeben konnte. Jens, gerade neun Jahre alt, hatte nicht nur zwei Fünfen aus der Schule mit nach Hause gebracht, sondern seinem Vater kurz danach auch noch zehn Mark aus einer Skatkasse gestohlen, den Diebstahl beim Verhör aber hartnäckig abgestritten. Da hatte Tomaschewski die Nerven verloren und wie von Sinnen auf den Jungen eingeschlagen. Sie hatte ihn zurückreißen wollen, doch damit hatte sie seinem Jähzorn nur noch neue Nahrung gegeben. Erst als ihr das Blut aus der Nase tropfte, war er wieder zu sich gekommen. Fluchend war er in die Küche gelaufen, um Tempotaschentücher zu holen. Jens hatte die Gelegenheit genutzt und sich aus dem Staub gemacht. Er war von zu Hause ausgerissen und hatte sich in der Stadt herumgetrieben. Die bald benachrichtigte Polizei hatte ihn nicht finden können. Am späten Nachmittag war er dann zur Havel hinuntergelaufen, hatte sich aufs dünne Eis gewagt, war eingebrochen und ertrunken.
«Man muß auch mal vergessen können», sagte Shaeffy im Plauderton.
Susanne preßte die Lippen aufeinander.
«Schmeckt vorzüglich!» Er blickte der drallen Kellnerin nach.
Sie schwiegen eine Weile. Im Grunde hatten sie sich herzlich wenig zu sagen. Susanne ärgerte sich schon darüber, daß sie sich mit
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