Zu einem Mord gehoeren zwei
ihr her.
Sie wohnte in der Kufsteiner Straße, nicht weit vom RIAS entfernt. Sie hatte schon oft erwogen, einmal anzufragen, ob sie eine Sprecherin brauchten. Ihre Stimme war warm und einschmeichelnd, das wußte sie. Aber was sollte es?
Die gesamte Vorderfront ihres vierstöckigen Hauses war mit Efeu überzogen, und dieser Hauch von Romantik ärgerte sie Tag für Tag. Ihre Fenster im zweiten Stock standen offen. Doch ein offenes Fenster ohne wartendes Gesicht war immer bitter.
Als sie ihre Wohnung betreten hatte, entdeckte sie auf dem Küchentisch einen kleinen Zettel mit der krakeligen Schrift von Frau Werner, ihrer Aufwartung. Sie hatte Mühe, die deutsche Sütterlinschrift zu entziffern. Mußte dringend beim Zahnarzt gehen, las sie schließlich, und habe Ihnen das Essen fertig auf den Herd gestellt. Sie verzog das Gesicht und schaltete die große Kochplatte auf III. Linsen mit Speck, das aß sie ganz gern.
Langsam ging sie ins Bad hinüber, riß sich das geblümte Sommerkleid vom Körper, wusch sich etwas, sprühte sich ein Desodorant in die Achselhöhlen und strich sich mit den Handflächen über Bauch und Brüste. Weiß Gott, man sah ihr die vierunddreißig Jahre nicht an. Plötzlich hatte sie Sehnsucht nach einem Mann, nach seinen Küssen, seinen Umarmungen, seiner Ungeduld. Sie zog ihren schwarzen Slip herunter und strich sich über die Schamlippen.
In diesem Augenblick schrillte nebenan im Wohnzimmer das Telefon. Erschrocken hielt sie inne und stürzte hinüber. Sie war etwas außer Atem, als sie sich meldete.
«Sue, bist du’s?» fragte eine etwas knarrende Männerstimme.
«Hm… Wer ist denn da?»
«Na, ich – John!»
«Ah, Onkel John…!» Tomaschewskis Onkel, der Bruder seines Vaters. Eigentlich hieß er Johannes Tomaschewski, aber seit er in Amerika lebte, nannte er sich John Shaeffy. Sie mochte den alten Kauz ganz gern. Oder vielmehr, sie hatte ihn gemocht – damals, als es noch Leute gab, die sie mochte.
«Ich bin für ein paar Tage in Berlin… Hast du ein Stündchen Zeit für mich? Wir könnten essen gehen…?»
«Aber natürlich, John, natürlich», sagte sie gegen ihren inneren Widerstand.
«Gut; ich hole dich abends ab… Sieben Uhr?»
«Okay! Bis dann!»
«Bis dann!»
Sie legte auf und ärgerte sich darüber, daß sie seine Einladung angenommen hatte. Sie haßte alle Tomaschewskis; sie hätte die ganze Sippe auf der Stelle vergiften können. Aber immerhin brachte John ihr ein wenig Abwechslung.
Sie aß ohne großen Appetit und warf sich dann auf ihre flache Liege, konnte aber erst nach einer halben Stunde einschlafen. Sie hatte sich angewöhnt, am Nachmittag zu schlafen; nachts lag sie meistens wach und grübelte.
Als sie erwachte, war es kurz vor sechs, aber sie brauchte noch eine gute Viertelstunde, um sich aufzurichten und ins Bad zu gehen. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen, strich sich die Haare aus der Stirn und musterte sich in dem großen, etwas schiefhängenden Spiegel. Als erstes ärgerten sie die scharfen Fältchen, Rinnen schon, die von den Nasenflügeln zu den herabhängenden Winkeln ihres vollen Mundes hinabliefen. Sie ließen ihr Gesicht hart erscheinen, und wenn sie ernst und nachdenklich war, sah sie fast häßlich aus. Sie starrte sich an, bis sie an ihrer Identität zweifelte, bis sie vergaß, daß sie ihr Spiegelbild vor sich hatte. Eine fremde Frau blickte sie an. Es ging etwas Hexenhaftes von ihr aus, sie mußte eine Giftmischerin sein, eine KZ-Ärztin, eine Kindesmörderin.
Susanne grinste, dann lächelte sie. Sofort war der Spuk verschwunden. Nüchtern registrierte sie den Charme, den sie jetzt ausstrahlte, die Reife, das Versprechen auf Erfüllung vieler Wünsche, eine gewisse Mütterlichkeit.
Sie duschte sich in aller Ruhe und suchte dann ihr weißes Kostüm hervor. Sie war ziemlich unkonzentriert, als sie sich anschließend kämmte und schminkte. Es machte ihr keinen besonderen Spaß, und sie gab sich auch keine große Mühe dabei. Schließlich legte sie die rote Korallenkette an. Irgendwie hing sie an der Kette. Günther hatte ihr das billige Ding geschenkt, damals im Sommer 1957. Günther Feuerhahn… Ansonsten stimmte sie die Erinnerung an diese Tage, die so voll vom Zauber des Erstmaligen gewesen waren, ziemlich wehmütig. Sie hatte das Alter erreicht, wo Träume zu Schwermut und Apathie führten, weil sie sich alle schon einmal erfüllt hatten.
Kurz vor sieben verließ Susanne die Wohnung und ging auf die Straße hinunter. Kaum hatte sie
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