Zu einem Mord gehoeren zwei
auftauchen. Wahrscheinlich werden gleich ein paar Reporter mitkommen. Du mußt ihnen eine große Szene vorspielen – laß dir etwas einfallen… Und später, wenn du begriffen hast, daß du deine Rettung einer alten Jugendliebe verdankst: Wir haben uns seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen – ist das klar?»
«Natürlich.»
«Vergiß nicht, die Pistole wegzuwerfen. Aber so, daß sie in den nächsten hundert Jahren nicht gefunden wird.»
«Ich bin doch nicht schwachsinnig!»
«Gut… Komm!»
Er schloß das Gitter auf. «Ich laß es offen – kommt nicht drauf an, ob er’s fünf Sekunden früher oder später merkt, falls er runterkommt. Und ich bin rascher wieder drin.» Er ging zur Treppe, ohne sich umzusehen.
Susanne knipste das Licht im Tresorraum aus und folgte ihm. Sie spürte eine gewisse Enttäuschung. Vielleicht hatte sie, wenn auch nur im Unterbewußtsein, eine kurze Umarmung erwartet, ein paar Worte des Dankes… Möglicherweise hatte er erkannt, daß er nur ihr Werkzeug war. Und wennschon? Ein Pakt wie der ihre war um so dauerhafter, je stärker der zweckorientierte Verstand daran beteiligt war – Gefühle waren da viel zu unsichere Klammern… Wie durch wogende Nebelschleier hindurch sah sie, wie Feuerhahn die unterste Stufe erreichte. Jetzt hatte er die Schlüssel, jetzt hatte er die Waffe; es war zu spät, noch umzukehren… Sie fühlte sich wie nach einer schweren Prüfung, leer und ausgelaugt.
«Wo bleibst du denn?» rief Feuerhahn halblaut von oben.
«Ich komme…» Sie verfehlte eine Treppenstufe, stolperte und fing sich wieder, indem sie sich mit den Fingerspitzen abstützte.
Endlich hatte sie die Diele erreicht. «Günther, wo…»
«Pssst!»
Jetzt hörte sie es auch. Schritte auf dem Weg vor dem Haus. Schritte, die näher kamen… Tomaschewski!
Sie stand wie gelähmt. Sie sah, wie Feuerhahn hinter der Kellertür verschwand und sie behutsam hinter sich schloß; sie wollte ihm folgen… Nein! Du mußt raus hier – dein Alibi…
Draußen klapperten Schlüssel. Ein Hüsteln, dicht vor der Haustür.
Sie warf sich herum und huschte ins Schlafzimmer.
12
OBERKOMMISSAR MANNHARDT
Auf Mannhardts unaufgeräumtem Schreibtisch lagen die Entwürfe einer großformatigen Anzeigenserie, die im Herbst in den Berliner Tageszeitungen erscheinen sollte und den Zweck hatte, fähigen Nachwuchs in die Büros der Kriminalpolizei zu locken. Die Kripo sucht Männer, die nicht schon am Montag wissen wollen, was sie die ganze Woche lang tun werden. Schön wär’s, dachte Mannhardt. Scheißspiel… Er zum Beispiel wußte schon heute, was er bis zu seiner Pensionierung tun würde: auf seinen Beruf schimpfen – auf diesen Beruf, der ihm meterlang zum Hals heraushing und der ihn zugleich nicht losließ. Zumindest seinen Ehrgeiz nicht losließ. Aber sein Ehrgeiz bekam im Augenblick wenig Auftrieb.
Noch immer keine Spur vom Hermsdorfer Bankräuber und seinem Opfer. Wachholz, der junge Bankbeamte, war heute vormittag verstorben. Die Operationen hatten nichts mehr genutzt. Seine Mutter hatte einen schweren Herzanfall erlitten und lag im selben Krankenhaus, in dem ihr Sohn gestorben war; sein Vater hatte die Belohnung, die zur Ergreifung des Täters ausgesetzt war, um mehr als fünftausend Mark erhöht. Weihnachten hatte sich Wachholz verloben wollen. Die Bankmenschen lobten ihn über den grünen Klee.
Mannhardt war alles andere als sentimental; er versuchte jedenfalls, sich dagegen zu wehren. In Vietnam wurden täglich Hunderte junger Menschen getötet, und außerdem war es für einen, der gestorben war, schnurzpiepegal, ob er mit zwanzig oder mit achtzig Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. In der Sekunde nach dem Tod wurde die Zeit, die man gelebt hatte, bedeutungslos.
So beschäftigte er sich viel weniger mit Wachholz, der doch nicht mehr zu retten war, als mit Feuerhahn, der möglicherweise noch irgendwo in einem abgelegenen Haus, in den Tiefen eines Lastkahns, in einer vergessenen Ruine oder in einem versteckten Keller auf seinen Retter wartete. Mannhardt brauchte sich keine Vorwürfe zu machen; er hatte alles getan, um ihn zu finden. Man hatte alle Spuren verfolgt, alle halbwegs verdächtigen Personen vernommen, alle als mögliches Versteck in Frage kommenden Orte unter Beteiligung der Bereitschaftspolizei gründlich untersucht, alle Bewohner dieser Stadt mobilisiert – umsonst! Auch der Kollege Zufall hatte diesmal auf der ganzen Linie versagt. So bitter es war, man konnte
Weitere Kostenlose Bücher