Zu feindlichen Ufern - [3]
Schwärmerische anbelangt, einer Meinung mit einer neunzigjährigen Witwe?« Er zog eine Braue hoch, aber Beacher wusste offenbar nicht, was er darauf erwidern sollte. »Schade, dass du nicht um die Hand von Henriettas Tante anhalten willst. Ihr beide scheint ja viel gemein zu haben«, scherzte er.
»Du verstehst doch, wo mein Problem liegt, oder nicht, Wilder? Ich bin Henri zu vertraut. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie beizeiten anders darüber denken wird. Sobald sie sich von ihrer Enttäuschung erholt hat, wird sie erkennen, wie töricht ihre hohen Erwartungen waren.«
»Ein Grund mehr, ihr deine wahren Gefühle zu offenbaren. Dann könnte sie den gut aussehenden Schurken gegen den treuen Vertrauten abwägen und beschließen, wem sie ihr Herz schenken darf. Schweigst du aber weiterhin beharrlich, wird sie nie vermuten, dass deine Gefühle anders sind als die eines Bruders. Die Tapferen verdienen das Schöne.«
» Nur die Tapferen …«
»Wie bitte?«
»Nur die Tapferen verdienen das Schöne. John Dryden.«
»Ach, das ist von Dryden? Ich dachte von Shakespeare.«
»Vielleicht auch. Jeder scheint das irgendwann schon einmal gesagt zu haben. Ich glaube, der Herr sagte dies zu Adam.«
»Na, da hast du es. Wenn der Herr es zu Adam sagte und selbst Shakespeare es benutzte – zumindest wahrscheinlich –, so ist es zweifellos die Wahrheit. Miss Henrietta ist schön, also hast du tapfer zu sein. Wenn es anders herum wäre – und du schön wärst, dann müsste sie tapfer sein –, aber ich kann dir versichern, Beacher, du bist nicht schön. Deshalb fällt der Part, tapfer zu sein, dir zu.«
»Oh, hab Dank, Wilder. Das ist das Netteste, was du je über mich gesagt hast.«
»Keine Ursache. Habe ich dir auch gesagt, dass du zögerlich, schüchtern und kleinmütig bist und kein Rückgrat hast? Ach nein? Nun, tut mir leid, aber so bist du eben. Wenn du den Mut nicht aufbringst, Miss Henrietta Carthew zu sagen, was du für sie empfindest, dann wird sie höchstwahrscheinlich einen gut aussehenden Fremden heiraten und unglücklich bis an ihr Lebensende sein. Und das wäre dann deine Schuld.«
Beacher stand auf und schritt im Zimmer auf und ab. Nachdenklich zündete er sich eine Pfeife an einer Kerze an. »Wenn ich mich ihr in dieser Weise eröffne, dann muss das zeitlich genau abgestimmt sein. Spreche ich es zu früh aus, so wird sie mich zurückweisen, weil sie immer noch auf ihren gut aussehenden Fremden wartet. Komme ich aber zu spät damit heraus – nun, dann wird es eben zu spät sein. Woher soll ich wissen, wann der geeignete Zeitpunkt ist?«
»Das ist der Haken.«
»Shakespeare.«
»Ach, nicht Gott?«
K APITEL VIER
Auf seine eigene Anordnung hin weckte man Hayden zwei Stunden vor Tagesanbruch. Er nahm ein spärliches Frühstück ein, wusch sich und zog sich mit der üblichen Sorgfalt an, war jedoch wieder einmal mit den Gedanken woanders. Als er sich dann auch noch beim Rasieren schnitt und die Wunde erst nach einer Viertelstunde nicht mehr blutete, drückte auch dies auf seine ohnehin schlechte Stimmung.
Während er noch seinen Mantel glatt strich, fuhr ein Donnern durch den Schiffsrumpf, gefolgt von dem charakteristischen Laut von reißender Takelage. Hayden eilte zu der Leiter, die zum Deck führte. Sein Seesoldat, der mehr oder weniger an der Stelle stand, an der sich unter normalen Umständen die Kajütentür befunden hätte, sah ihn erschrocken an.
»Wird auf uns geschossen, Sir?«, rief er außer Atem.
»Allerdings.« Hayden nahm zwei Sprossen der Leiter auf einmal und erreichte das Deck in dem Moment, als die Bramstenge des Kreuzmasts sich leewärts neigte und absackte. Doch sie flog nicht hinaus in die See, da sie von Wanten, Stagen und Fallen gehalten wurde.
»Kappt die Taue dort oben!«, rief Hayden. »Sonst reißt sie noch den Kreuzmast mit!«
Die Männer beeilten sich, Äxte an Ort und Stelle zu schaffen. Sowohl Franks als auch Childers tauchten auf und gaben Anweisungen, wo das Tauwerk gekappt werden sollte. Chettle, der Zimmermann, und seine Maate kletterten bis in die Kreuzmars und fingen an, das Rigg wegzuschlagen. Unterdessen schwankte die Themis , und der Regen prasselte herab und lief in Strömen von den Segelflächen – als wären es Dachschindeln. Unter anderen Gegebenheiten hätte Hayden längst angeordnet, die oberen Rahen herunterzunehmen und die Bramstengen ganz einzuziehen, aber sie hatten stattdessen alles so gelassen, wussten sie doch, dass im Falle einer Flucht
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